Leitsatz
1. Richtiger Klagegegner ist die beklagte Stadt als Rechtsträgerin der begehrten Leistungen nach dem SGB 12 (Abweichung, BSG vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 R).

2. Die Vorschrift des § 44 SGB 10 ist sowohl auf Sozialleistungen nach dem BSHG als auch auf das SGB 12 anwendbar, soweit es um einen Anspruch auf rückwirkende Zahlung des Mehrbedarfs wegen Erwerbsminderung geht.

Orientierungssatz

1. Die Vorschrift des § 70 Nr. 3 SGG enthält hinsichtlich der Parteifähigkeit einer Behörde keine Abkehr vom Rechtsträgerprinzip. Fehlt es an einer landesrechtlichen Bestimmung i. S. dieser Vorschrift, so kann das Gericht die gegen eine Behörde gerichtete Klage auf die beklagte Gebietskörperschaft umstellen.
2. Ob die Vorschrift des § 44 Abs. 1 SGB 10 auf sämtliche Sozialleistungen anwendbar ist, wird von der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt. Nach Auffassung des Senats ist die Vorschrift auf die pauschalierte Leistung des Mehrbedarfs wegen Erwerbsminderung nach § 30 Abs. 1 SGB 12 bzw. § 23 Abs. 1 BSHG anwendbar.
3. Ob der Grundsatz "Keine Hilfe für die Vergangenheit" einer Anwendung des § 44 Abs. 1 SGB 10 entgegensteht, bleibt einer Einzelfallentscheidung vorbehalten. Dabei ist entscheidend, wann die Leistungsvoraussetzungen dem Sozialhilfeträger bekannt geworden sind und ob Leistungen für einen Zeitraum vor oder nach diesem Zeitpunkt begehrt werden.

Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 14.03.2007 wird aufgehoben und die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 22.06.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2006 verurteilt, die Bescheide vom 15.12.2003, 23.03.2004, 22.06.2004, 22.09.2004, 20.10.2004, 18.11.2004, 16.12.2004, 18.03.2005, 20.06.2005, 19.08.2005 sowie sämtliche übrigen Verwaltungsakte auch in Gestalt von Zahlungen für den Zeitraum von Februar 2004 bis September 2005 soweit zurückzunehmen, als der Klägerin für die Zeit von Februar bis Dezember 2004 ein Mehrbedarf wegen Erwerbsminderung in Höhe von 47,40 Euro und für die Zeit von Januar bis September 2005 ein Mehrbedarf in Höhe von 46,92 Euro monatlich versagt worden ist, sowie diese Mehrbedarfe zu gewähren. Die Kosten in beiden Rechtszügen sind der Klägerin zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen Erwerbsminderung für den Zeitraum von Januar 2004 bis September 2005 im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren (SGB X).
Die im Mai 1985 geborene Klägerin bezog ab 1991 Leistungen nach dem am 31.12.2004 außer Kraft getretenen Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Seit 1996 besitzt sie einen Schwerbehindertenausweis, aus dem auch das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Gehbehinderung) hervorgeht. In einer ärztlichen Stellungnahme vom 01.04.2003 führte der Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskuläre Chirurgie der Universitätsklinik F, Prof. Dr. K, aus, die Erkrankungen der Klägerin seien so gravierend, dass sie zur kombinierten Herz-Lungen-Transplantation vorgesehen sei. Aufgrund rezidivierender Synkopen in den letzten Wochen sei eine Teilnahme am gesamten Schulunterricht nicht möglich, dieser müsse auf einige Stunden am Tag reduziert werden. In einem ärztlichen Attest vom 09.12.2003 teilte der Internist und Diabetologe Dr. J mit, die Klägerin leide an einer ausgeprägten Herz-/Lungenerkrankung, die bei regelmäßig auftretenden Luftnotzuständen eine Sauerstofftherapie erfordere. Diesbezüglich sei sie zu Hause mit einem entsprechenden elektrischen Sauerstoffgerät versorgt, eine Stromzufuhr müsse sichergestellt sein. Bereits am 29.06.2004 stellte der ärztliche Dienst der Beklagten fest, dass aufgrund der bei der Klägerin vorliegenden Grunderkrankungen eine volle Erwerbsminderung i.S.d. § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) vorliege. Der weitere Verlauf bleibe abzuwarten. Es empfehle sich ggf. eine erneute Anfrage in einem Jahr. Unter dem 27.06.2005 gelangte der ärztliche Dienst zu der Einschätzung, bei der Klägerin bestehe weiterhin eine volle Erwerbsminderung.
Bereits zuvor im Januar 2004 beantragte die Klägerin einen Mehrbedarf wegen Erwerbsminderung nach § 23 Abs. 1 BSHG. Spätestens im Februar 2004 wurde der Schwerbehindertenausweis der Klägerin bei der Beklagten aktenkundig, aus dem neben einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 und dem Merkzeichen "G" auch das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "B", "aG", "RF und "H" hervorgeht.
Für den Zeitraum von Januar bis Dezember 2004 erließ die Beklagte mehrere mit Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheide über Leistungen nach dem BSHG und für den Zeitraum von Januar bis September 2005 über Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII). Diese Bescheide wurden bestandskräftig.
Unterbrochen wurde der Leistungsbezug bei der Beklagten lediglich im Monat August 2005, in dem die Klägerin vorübergehend Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) bezog. Hierzu kam es, weil die Beklagte eine Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers eingeholt hatte, der mit Formschreiben vom 07.07.2005 als Ergebnis einer Überprüfung nach Aktenlage mitteilte, die Klägerin erfülle die in § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII genannten Voraussetzungen nicht, weil es nicht unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 13.07.2005 die Hilfe zum Lebensunterhalt unter Hinweis auf den möglichen Leistungsbezug nach dem SGB II ein. Mit Schreiben vom 09.08.2005 teilte der Rentenversicherungsträger auf weitere Anfragen der Beklagten mit, entsprechend der Entscheidung vom 07.07.2005 sei die Klägerin voll erwerbsgemindert, allerdings nicht auf unbestimmte Dauer. Dem gegen die Leistungseinstellung nach dem SGB XII eingelegten Widerspruch der Klägerin half die Beklagte daraufhin mit Bescheid vom 16.08.2005 ab und verfügte darin die Fortzahlung der Sozialhilfe ab dem 01.09.2005.
Mit Schreiben vom 29.09.2005 wandte sich die anwaltlich vertretene Klägerin zunächst an den Leistungsträger nach dem SGB II (ARGE Duisburg) und legte dar, dass aus ihrer Sicht zu geringe Unterkunftskosten gewährt worden seien. Bevor sie ein förmliches Verfahren nach § 44 SGB X einleite, bitte sie um Erläuterung. Dieses Schreiben leitete die ARGE an die Beklagte weiter, die daraufhin in eine Überprüfung der Höhe der zu gewährenden Unterkunftskosten nach dem SGB XII eintrat. Auf den nunmehr streitigen Mehrbedarf ging die Klägerin im Rahmen des folgenden Schriftwechsels, der auch die Einlegung eines Widerspruchs einschloss, zunächst nicht ein.
Nach erneuter Einreichung des Schwerbehindertenausweises und erneuter Beantragung des Mehrbedarfs wegen Erwerbsminderung anlässlich einer Vorsprache der Mutter der Klägerin bei der Beklagten am 07.03.2006 gewährte die Beklagte der Klägerin den Mehrbedarf durch Bescheid vom 01.04.2006 beginnend mit dem Monat März 2006.
Nachdem auch der Streitpunkt "Kosten der Unterkunft" zwischen den Beteiligten hatte geklärt werden können, teilte die Klägerin mit Schreiben vom 03.04.2006 mit, der "Widerspruch" werde gleichwohl aufrecht erhalten und richte sich nunmehr gegen die Zuerkennung des Mehrbedarfes erst ab dem 01.03.2006. Der Schwerbehindertenausweis der Klägerin liege der Beklagten bereits seit etwa 1996 vor. Im Jahr 2004 habe eine Überprüfung wegen des Mehrbedarfes stattgefunden. Der Zuschlag müsse daher rückwirkend gewährt werden.
In ihrer Erwiderung auf dieses Schreiben wies die Beklagte darauf hin, dass der Streitpunkt Mehrbedarf nicht Gegenstand des vorangegangenen Widerspruchsverfahrens gewesen sei. Mit Schreiben vom 24.04.2006 teilte die Klägerin daraufhin mit, der "bisherige Schriftsatz" möge als Antrag nach § 44 SGB X aufgefasst werden.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22.06.2006 die Abänderung ihrer bestandskräftig gewordenen Leistungsbescheide und die Gewährung des Mehrbedarfes für die Zeit vor März 2006 ab. Zur Begründung führte sie aus, die Anwendung des § 44 SGB X auf das Leistungsrecht des BSHG sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) unzulässig, da die Sozialhilfe eine Notfallhilfe sei und ein Anspruch auf diese Sozialleistung grundsätzlich einen gegenwärtigen Bedarf voraussetze. Ein solcher gegenwärtiger Bedarf bestehe in den Fällen des § 44 SGB X nicht mehr, da dadurch gerade die Verpflichtung des Sozialhilfeträgers angestrebt werde, einen Bescheid, mit dem er in der Vergangenheit die Gewährung von Sozialhilfe abgelehnt habe, aufzuheben, um den Weg für eine nachträgliche Gewährung von Sozialhilfe für vergangene Zeitabschnitte freizumachen. Diese Rechtsprechung des BVerwG sei auch für die Zeit nach Inkrafttreten des SGB XII anwendbar, weil dieses Gesetz das BSHG abgelöst habe.
In ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, die frühere Rechtsprechung des BVerwG sei unzutreffend. Inzwischen lägen Entscheidungen vor, wonach § 44 SGB X für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung anwendbar sei. Diese Rechtsprechung sei auf die Sozialhilfe nach dem SGB XII zu übertragen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.08.2006 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Klägerin habe für den strittigen Zeitraum zwar ein Anspruch auf den Mehrbedarf zugestanden. Die für diesen Zeitraum ergangenen Leistungsbescheide seien jedoch unanfechtbar geworden. Zwar sehe § 44 SGB X die Möglichkeit vor, auch unanfechtbar gewordene Verwaltungsakte mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gelte aber nicht für die Sozialhilfe, da bei dieser der Grundsatz "keine Hilfe für die Vergangenheit" zu beachten sei. Die Aufhebung bestandskräftiger Ablehnungsbescheide der Sozialhilfe sei hiermit unvereinbar.
Die Klägerin hat mit der am 18.09.2006 bei dem Sozialgericht Duisburg erhobenen Klage geltend gemacht, der Rechtsprechung des BVerwG könne nicht gefolgt werden. Die Sozialgerichtsbarkeit solle neue Wege gehen. § 44 SGB X sei auch auf Leistungen nach dem BSHG und dem SGB XII anzuwenden. Die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 44 SGB X auf das SGB XII ergebe sich bereits aus der Vorschrift des § 103 Abs. 4 SGB XII, der vorsehe, dass § 44 SGB X "unberührt" bleibe. Hieraus ergebe sich, dass der Gesetzgeber selbst von der Anwendung des § 44 SGB X auf die Sozialhilfe ausgegangen sei.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.06.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2006 zu verurteilen, über den nach § 44 SGB X gestellten Antrag auf Überprüfung der Leistungen neu zu entscheiden und demgemäß der Klägerin den Mehrbedarfszuschlag wegen Erwerbsminderung auch für die Zeit von Januar 2004 bis September 2005 zu bewilligen.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie hat an ihrer im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung festgehalten und auf die vorangegangenen Ausführungen insbesondere im Widerspruchsbescheid verwiesen.
Mit Urteil vom 14.03.2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rücknahme von Bescheiden und Nachzahlung von Sozialhilfeleistungen nach dem BSHG und dem SGB XII gemäß § 44 Abs. 1 und 4 SGB X. Diese Vorschrift sei nicht auf das Leistungsrecht des BSHG und ebenso wenig auf die Ansprüche nach dem Dritten Kapitel des SGB XII anwendbar. Sozialhilfeleistungen setzten einen gegenwärtigen Bedarf voraus; es bestehe kein Anspruch auf Hilfe für die Vergangenheit. Eine vom BVerwG anerkannte Ausnahme vom Erfordernis eines tatsächlich fortbestehenden Bedarfs liege nicht vor. § 44 Abs. 1 und 4 SGB X könne auch nicht dahingehend verstanden werden, dass er bezogen auf das Sozialhilferecht über die anerkannten Ausnahmen hinaus eine weitere Ausnahme vom Erfordernis eines tatsächlichen Bedarfs regele; ein eigenständiger, von der ursprünglich begehrten Sozialleistung unabhängiger Sozialleistungsanspruch werde nicht begründet. Der ursprünglich begehrte Sozialleistungsanspruch bestehe aber in Fällen des § 44 Abs. 1 und 4 SGB X mangels Bedarfes gerade nicht mehr fort, so dass auch keine Leistungen nach erbracht werden könnten. Diese Argumentation treffe auch auf Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII zu, da sich auch hier aus § 18 SGB XII das Verbot der Hilfe für die Vergangenheit ergebe. Die Rechtsprechung zu Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII sei aufgrund der unterschiedlichen Regelungen für Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Schließlich könne aus § 103 Abs. 4 SGB XII nicht geschlossen werden, dass § 44 SGB X auch auf Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII anzuwenden sei. § 103 SGB XII regele lediglich den Kostenersatz bei schuldhaftem Verhalten. Gegen das ihr am 21.03.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20.04.2007 Berufung eingelegt. Sie trägt vertiefend vor, es sei eine nicht nachvollziehbare Benachteiligung der Empfänger von Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII, wenn nur für diesen Bereich § 44 SGB X keine Anwendung fände, wohingegen die Vorschrift unstreitig sowohl auf Leistungen nach dem SGB II als auch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII angewendet werde. SGB II und SGB XII seien einander so angenähert, dass eine Unterscheidung im Hinblick auf das Verfahrensrecht nicht verständlich sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 14.03.2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.06.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2006 zu verurteilen, die Bescheide vom 15.12.2003, 23.03.2004, 22.06.2004, 22.09.2004, 20.10.2004, 18.11.2004, 16.12.2004, 18.03.2005, 20.06.2005, 19.08.2005 sowie sämtliche übrigen Verwaltungsakte auch in Gestalt von Zahlungen für den Zeitraum von Februar 2004 bis September 2005 insoweit zurückzunehmen, als der Klägerin für die Zeit von Februar bis Dezember 2004 ein Mehrbedarf wegen Erwerbsminderung in Höhe von 47,40 Euro und für die Zeit von Januar bis September 2005 ein Mehrbedarf von 46,92 Euro monatlich versagt worden ist, sowie diese Mehrbedarfe zu gewähren. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie bezieht sich auf den bereits unterbreiteten Vortrag und die Ausführungen aus dem angegriffenen Urteil. Ergänzend trägt sie vor, die entscheidenden Regelungen des Dritten Kapitels des SGB XII seien mit den Regelungen des BSHG derart vergleichbar, dass keine Veranlassung bestehe, von der Rechtsprechung des BVerwG abzuweichen. Insbesondere § 18 SGB XII übernehme die Regelung des § 5 BSHG, der nicht unerheblichen Einfluss auf die Entscheidung des BVerwG gehabt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft, weil die Berufung laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Dass die Berufungsschrift zunächst keinen konkreten Antrag enthielt, ist unschädlich, da in dem ausdrücklich als "Berufungsschrift" bezeichneten Schriftsatz deutlich wird, dass eine volle gerichtliche Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils mit dem Ziel der Abänderung der Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens beabsichtigt ist.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
Die Klage ist zulässig gewesen.
Richtiger Klagegegner ist die beklagte kreisfreie Stadt als Rechtsträgerin der begehrten Leistung nach dem SGB XII. Der Senat hat daher entsprechend seiner bisherigen Praxis die ursprünglich gegen den Oberbürgermeister als Behörde gerichtete Klage auf die Gebietskörperschaft umgestellt. Soweit das Bundessozialgericht die Behörde als richtigen Klagegegner ansieht (vgl. BSG, Urteil v. 16.10.2007, B 8/9b SO 8/06 R), folgt der Senat dieser Rechtsprechung nicht. Das BSG hat in der o.g. Entscheidung eine Klage gegen den Bürgermeister einer kreisangehörigen Stadt als zulässig angesehen und ausgeführt, der beklagte Bürgermeister sei als Behörde beteiligtenfähig i.S.d. von § 70 Nr. 3 SGG. Nach dieser Vorschrift seien Behörden beteiligtenfähig, sofern das Landesrecht dies bestimme (Behördenprinzip). Gemäß § 3 des Gesetzes zur Ausführung des SGG im Land Nordrhein-Westfalen (NRW) vom 8. Dezember 1953 (Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl) NRW 541, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 1989 - GVBl NRW 678 [AG-SGG NRW]) seien Behörden fähig, an Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit beteiligt zu sein. Behörden i.S.d. SGG seien solche Stellen, die durch organisationsrechtliche Rechtssätze gebildet, vom Wechsel ihrer Amtsinhaber unabhängig und nach der einschlägigen Zuständigkeitsregelung berufen sind, unter eigenem Namen für den Staat oder einen Träger öffentlicher Verwaltung Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen (so das BSG unter Berufung auf Waschull in Lehr- und Praxiskommentar SGB X (LPK-SGB X), 2. Aufl 2007, § 11 Rn. 7 m.w.N.; Bier in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 61 Rn. 8, 14. Ergänzungslieferung). Behörde in diesem Sinne sei der beklagte Bürgermeister als Organ und Behörde der Stadt, die im vom BSG entschiedenen Fall vom zuständigen Leistungsträger zur Durchführung der Aufgabe herangezogen worden war. Träger der Grundsicherung sei nach § 3 Abs 2 SGB XII (hier in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27. Dezember 2003 - BGBl I 3022 ff ) i.V.m. § 97 (hier in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB) und § 98 SGB XII (hier idF des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes vom 21. März 2005 - BGBl I 818 ff) zwar der Kreis; dieser habe allerdings nach § 99 Abs. 1 SGB XII i.V.m. Art 1 § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Anpassung des Landesrechts an das SGB XII vom 16. Dezember 2004 (GVBl NRW 816) zur Durchführung der ihm als Sozialhilfeträger obliegenden Aufgaben die Stadt durch Satzung herangezogen, die in eigenem Namen entscheide.
Vorliegend kam es auf die vom BSG angesprochene Delegation nicht an, weil es sich bei der beklagten Stadt Duisburg um eine kreisfreie Stadt handelt, die gemäß §§ 97 Abs. 1, 99 BSHG bzw. §§ 97, 98 SGB XII zuständig ist. Der Hinweis auf das AG-SGG NRW reicht zur Überzeugung des Senates nicht aus, die Behörde als zutreffenden Klagegegner anzusehen. Nach § 3 AG-SGG NRW i.V.m. § 70 Nr. 3 SGG besteht zwar kein Zweifel an der Beteiligtenfähigkeit des hier zunächst beklagten Oberbürgermeisters. Hieraus ergibt sich aber keineswegs zwingend, dass er auch der richtige Klagegegner ist. Denn anders als in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), in der § 78 Abs. 1 Nr. 2 eine Behörde unter dort genannten Voraussetzungen zum Klagegegner bestimmt, existiert im SGG keine ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Bestimmung des richtigen Klagegegners. Es fehlt auch in Nordrhein-Westfalen an einer § 5 Abs. 2 AG-VwGO NRW entsprechenden Norm, wonach bestimmte Klagen gegen die Behörde zu richten sind.
Grundsätzlich ist daher zunächst vom Rechtsträgerprinzip auszugehen (vgl. etwa Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Auflage, 2005, VI. Kapitel Rn. 1), das auch in § 75 Abs. 5 SGG zum Ausdruck kommt. Danach kann ein Versicherungsträger oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land nach Beiladung verurteilt werden, von einer Behörde ist insoweit nicht die Rede.
Fraglich ist daher allein, ob in § 70 Nr. 3 SGG eine Abkehr vom Rechtsträgerprinzip vorgenommen werden sollte, weil dort geregelt wurde, dass auch Behörden beteiligtenfähig sind, soweit Landesrecht dies bestimme. Diese Frage ist zu verneinen, denn aus § 70 Nr. 3 SGG geht gerade keine strikte Geltung des Behördenprinzips hervor, die dazu führen würde, dass die für den materiell Verpflichteten handelnde Behörde auch zum richtigen Klagegegner wird. Dies ergibt sich vor allem aus einem systematischen Vergleich mit den Verfahrensordnungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Finanzgerichtsbarkeit. Denn der Gesetzgeber hat beispielsweise in der VwGO ersichtlich die Überlegung verworfen, dass Klagen grundsätzlich immer schon dann gegen die Behörde zu richten sind, wenn diese beteiligtenfähig ist. Trotz der Regelung in § 61 VwGO zur Beteiligtenfähigkeit von Behörden hat er hinsichtlich der Bestimmung (eigentlich: Bezeichnung) des richtigen Klagegegners eine weitere ausdrückliche Regelung für erforderlich gehalten, die in § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ihren Niederschlag gefunden hat. In § 5 Abs. 2 AG VwGO NRW hat der Landesgesetzgeber zudem geregelt, dass Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen gegen die Behörden zu richten sind, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen haben. Die Finanzgerichtsordnung (FGO) regelt in § 63 ausdrücklich, gegen wen eine Klage zu richten ist. Im SGG fehlt dagegen eine solche ausdrückliche Regelung zur Bestimmung des richtigen Klagegegners. Die Rechtsprechung hat dieser Besonderheit des SGG bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, die Beteiligtenfähigkeit könne für die Bestimmung des richtigen Klagegegners maßgebend sein (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., § 78 Rdn. 2 und wohl auch Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 5. Auflage, 2005, § 54 Rn. 45) mag dies auf der Linie des oben zitierten Urteils des BSG liegen. Überzeugend ist dies angesichts des Vergleichs der Verfahrensordnungen aber nicht. Zudem ändert die Beteiligtenfähigkeit auch der Behörde nichts an dem weiterhin maßgeblichen Rechtsträgerprinzip. Dies würde bei konsequenter Anwendung der o.g. Entscheidung des BSG, das allein aus der Regelung über die Beteiligtenfähigkeit der Behörde auf deren Eigenschaft zu schließen scheint, richtiger Klagegegner zu sein, mit sich bringen, dass es mindestens zwei richtige Klagegegner gäbe, nämlich Behörde und Rechtsträger. In diese Richtung scheint auch die Kommentierung bei Zeihe zu gehen (Zeihe, Sozialgerichtsgesetz, Loseblatt, Stand: 2007, § 70 Rn. 8b), der ausführt, die Regelung in § 70 Nr. 3 SGG besage nicht, dass bei entsprechendem Landesrecht die Behörde klagen oder verklagt werden müsse. Vielmehr bleibe die Klage gegen den Rechtsträger "unbenommen". Diesem Ansatz kann aber nicht gefolgt werden, weil es grundsätzlichen Verfahrensprinzipien und der Rechtsklarheit widerspräche, dem Kläger ein Wahlrecht dahingehend zuzubilligen, dass er sich den richtigen Klagegegner aussuchen oder gar gegen Behörde und Rechtsträger gleichzeitig klagen könnte. Insoweit besteht auch keine Schutzbedürftigkeit des Klägers, weil eine unzutreffende Bezeichnung des Beklagten jederzeit von Amts wegen durch eine Rubrumsberichtigung korrigiert werden kann, ohne dass es sich hierbei um eine Klageänderung handeln würde (vgl. nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 5. Auflage, 2005, § 99 Rn. 6a). Zutreffend ist es daher, die Regelung des § 70 Nr. 3 SGG im Hinblick auf den Wortlaut und den systematischen Vergleich mit anderen Verfahrensordnungen als bloße Regelung der Beteiligtenfähigkeit zu begreifen, ohne dass damit auch eine Festlegung des richtigen Klagegegners verbunden wäre. Hätte der Gesetzgeber nämlich etwas Anderes gewollt, hätte er dies wie in der VwGO und der FGO bzw. den diesbezüglichen landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen ausdrücklich regeln können und müssen. Dem Gesetzgeber muss diese Problematik auch bekannt gewesen sein, da auch die Regelung in § 78 VwGO einen strittigen gesetzgeberischen Prozess durchlaufen hat und erst auf Vorschlag des Bundesrates Ausnahmen vom Rechtsträgerprinzip zugelassen wurden, um bestimmten Ländern die Beibehaltung ihrer bisherigen Praxis zu ermöglichen (vgl. die Ausführungen und Nachweise hierzu bei Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., Rn. 1). Zudem ist die häufigste Klageart im sozialgerichtlichen Prozess die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG, womit eine Behörde zwar zur Aufhebung eines von ihr erlassenen Verwaltungsaktes oder zum Erlass eines Verwaltungsaktes verpflichtet werden kann. In Bezug auf die in der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage enthaltene Leistungskomponente ist aber festzustellen, dass materiell Verpflichteter nicht die Behörde ist. Diese Überlegung liegt offenbar auch der jahrzehntelangen Praxis der Sozialgerichtsbarkeit zu Grunde, in Verfahren nach dem Bundesversorgungsgesetz und solchen nach dem Schwerbehindertengesetz a.F. bzw. dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) das Land als richtigen Klagegegner anzusehen. Bereits frühzeitig wurde dementsprechend in der Literatur ausgeführt (vgl. nur Dapprich, Das sozialgerichtliche Verfahren, 1959, S. 53 f.), eine Regelung bezüglich der Beteiligtenfähigkeit der Behörde könne zwar für die Aufhebungs- und Vornahmeklage sinnvoll sein, für die Leistungsklage hingegen habe sie jedoch keine Bedeutung, weil eine Behörde nicht Schuldner oder Gläubiger einer Leistung sein könne. Soweit Castendieck (in Handkommentar SGG, 1. Auflage 2003, § 54 Rn. 9) demgegenüber darlegt, bei der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sei Klagegegner der Verwaltungsträger oder die Behörde, die den Widerspruchsbescheid erlassen habe und weiter ausführt, dies gelte aufgrund der Regelungen über die Beteiligtenfähigkeit auch für die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, so fehlt es an einer tragfähigen Begründung für diese Auffassung. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass auch angesichts des Fehlens einer § 5 Abs. 2 AG-VwGO NRW entsprechenden Norm im AG-SGG NRW nicht davon ausgegangen werden kann, dass richtiger Beklagter des vorliegenden Verfahrens die Behörde ist. Die Klage ist daher von dem erkennenden Senat mit Billigung der Beteiligten zutreffend auf die beklagte Gebietskörperschaft umgestellt worden.
Klage und Berufung sind zudem begründet, denn die Klägerin wird durch den Bescheid der Beklagten vom 22.06.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2006 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S.1 SGG, weil dieser Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Rücknahme bzw. Abänderung der in dem Zeitraum von Februar 2004 bis September 2005 ergangenen Leistungsbescheide der Beklagten gemäß § 44 Abs. 1 S.1 SGB X. Ebenso steht der Klägerin ein Anspruch auf (rückwirkende) Zahlung des Mehrbedarfs wegen Erwerbsminderung gemäß § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 23 Abs. 1 Nr. 2 BSHG bzw. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII zu.
Gemäß § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Gemäß § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist. Diese Voraussetzungen sind sämtlich erfüllt.
Bei Erlass der Bewilligungsbescheide hat die Beklagte insbesondere das Recht unrichtig angewandt i.S.d. § 44 Abs. 1 S.1 SGB X. Die Klägerin hatte im Zeitraum von Februar 2004 bis Dezember 2004 gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 2 BSHG einen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs in Höhe von 20 % des seinerzeit maßgeblichen Regelsatzes, also 47,40 Euro, und für die Zeit von Januar 2005 bis September 2005 einen Anspruch gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII in Höhe von 17 % des maßgeblichen Regelsatzes in Höhe von 46,92 Euro, denn die Klägerin erfüllte im fraglichen Zeitraum sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung dieses Mehrbedarfes. Sie war nach den Feststellungen des Senats, die sich auch auf die aktenkundigen Stellungnahmen des ärztlichen Dienstes der Beklagten stützen, im gesamten streitigen Zeitraum voll erwerbsgemindert nach dem SGB VI und hatte die Feststellung des Merkzeichens "G" durch ihren Schwerbehindertenausweis nachgewiesen. Soweit die Beklagte aufgrund von missverständlichen Auskünften des Rentenversicherungsträgers die volle Erwerbsminderung der Klägerin zwischenzeitlich in Zweifel gezogen hat, ist sie von dieser Auffassung zu Recht alsbald wieder abgerückt. Denn der Rentenversicherungsträger hatte nach den Feststellungen des Senates zu Recht nur die Dauerhaftigkeit der Erwerbsminderung i.S.d. § 41 SGB XII als noch nicht absehbar beurteilt, ohne in Zweifel zu ziehen, dass eine volle Erwerbsminderung vorliegt. Bei den gravierenden Erkrankungen und Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin, die nicht einmal einen durchgehenden Schulbesuch zuließen und die Versorgung mit Sauerstoffgeräten erforderten, war eine Erwerbstätigkeit jedenfalls im streitbefangenen Zeitraum nicht vorstellbar.
Der Anwendung des § 44 Abs.1 S.1 SGB X auf den vorliegenden Sachverhalt steht auch der sozialhilferechtliche Grundsatz "keine Hilfe für die Vergangenheit" nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des für das Recht der Sozialhilfe in der Vergangenheit zuständigen BVerwG war § 44 SGB X zwar auf das Leistungsrecht des BSHG von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen grundsätzlich nicht anwendbar (BVerwG, Urteil v. 13.11.2003, 5 C 26/02 = FEVS 55, 320; BVerwGE 68, 285, dazu grundlegend auch Rothkegel, Sozialhilferecht, 2005, S. 673 f.). Zur Begründung hat das BVerwG ausgeführt, das SGB X sei nur anwendbar, soweit sich aus den übrigen Büchern des SGB nichts Abweichendes ergebe (§ 37 Abs. 1 SGB I). Aus dem BSHG ergebe sich jedoch, dass Sozialhilfe Nothilfe sei und ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen grundsätzlich einen gegenwärtigen Bedarf voraussetze. Habe ein Bedarf in der Vergangenheit bestanden, bestehe er aber jetzt nicht (mehr) fort, fehle es an einer für den Sozialhilfeanspruch wesentlichen Anspruchsvoraussetzung; es bestehe kein Anspruch auf Hilfe für die Vergangenheit. Ein anerkannter Ausnahmefall vom Erfordernis eines tatsächlich (fort-)bestehenden Bedarfs (in Eilfällen und bei Einlegung von Rechtsbehelfen) liege in den Fällen des § 44 SGB X nicht vor. § 44 SGB X begründe keinen eigenständigen, von der ursprünglich begehrten Sozialleistung unabhängigen Sozialleistungsanspruch. Nach § 44 Abs. 4 SGB X würden "Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches" erbracht. Diese Leistungen könnten aber nur dann noch erbracht werden, wenn sie - sehe man über die bestandskräftige Leistungsablehnung hinweg - zur Zeit der Rücknahme noch beansprucht werden könnten. Im Sozialhilferecht bestehe aber in den Fällen des § 44 Abs. 1 und 4 SGB X, also bei durch Verwaltungsakt zu Unrecht versagter Leistung, gerade kein Bedarf aus der Vergangenheit und damit auch kein Sozialhilfeanspruch fort, auf den nach § 44 Abs. 4 SGB X Leistungen nach erbracht werden könnten. Regelsatzleistungen als Leistungen zum Lebensunterhalt würden einen aktuellen Regelbedarf zum Lebensunterhalt voraussetzen und seien dazu bestimmt, diesen zu decken. Der Regelbedarf für eine monatliche Regelsatzleistung bestehe nur im jeweils aktuellen Monat.
Diese Rechtsprechung ist teilweise auch in der Sozialgerichtsbarkeit auf Zustimmung gestoßen, so etwa ausdrücklich durch die Landessozialgerichte Hamburg (Beschluss v. 07.09.2007, L 4 B 355/07) und Baden-Württemberg (Urt. v. 01.02.2007, L 7 SO 1676/06). Demgegenüber sind in jüngerer Zeit zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowohl nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) als auch nach dem Vierten Kapitel des SGB XII Urteile ergangen, die § 44 SGB X jedenfalls auf Leistungen der Grundsicherung anwenden (SG Aachen, Urteil v. 13.09.2006, S 19 SO 25/06; SG Aachen, Urteil v. 29.09.2006, S 19 SO 4/06; VGH München, Beschluss v. 13.04.2005, 12 ZB 05.262, vgl. hierzu auch Rothkegel a.a.O. S. 676, ). Für das Arbeitslosengeld II nach dem SGB II hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg die Anwendbarkeit des § 44 SGB X ausdrücklich offen gelassen (LSG Baden-Württemberg v. 28.06.2006, L 13 AS 2297/06). Diese Urteile sind von einer Argumentation geprägt, die die konzeptionellen Unterschiede zwischen der "Sozialhilfe" und Leistungen der Grundsicherung nach dem GSiG bzw. nach dem Vierten Kapitel des SGB XII betont, ohne ausdrücklich von der o.g. Rechtsprechung des BVerwG abzuweichen.
Eine solche Abkehr von der Rechtsprechung des BVerwG deutet sich aber in der jüngsten Rechtsprechung des BSG an. So hat das BSG in seinem Urteil v. 16.10.2007 (B 8/9b SO 8/06 R) ausgeführt, § 44 SGB XII sei jedenfalls auf Grundsicherungsansprüche nach dem SGB XII anwendbar. Ob der Grundsatz "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" als Strukturprinzip der Sozialhilfe nach wie vor im Bereich der Hilfe zum Lebensunterhalt Anwendung finden könne, sei als zweifelhaft anzusehen (BSG, a.a.O., Rn. 21 bei "juris"). Der erkennende Senat lässt derzeit noch offen, ob § 44 SGB X auf sämtliche Ansprüche auf Sozialhilfe nach dem BSHG bzw. SGB XII anwendbar ist. Der Senat folgt aber der oben skizzierten Auffassung des BVerwG jedenfalls insoweit nicht, als eine Anwendbarkeit des § 44 SGB X auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII bzw. BSHG, soweit sie pauschaliert sind, grundsätzlich ausgeschlossen sein soll. Zur Überzeugung des Senates ist § 44 Abs. 1 SGB X jedenfalls auf die hier streitbefangene pauschalierte Leistung in Gestalt des Mehrbedarfes wegen Erwerbsminderung nach § 23 Abs. 1 BSHG bzw. § 30 Abs. 1 SGB XII anwendbar. Der Wortlaut des § 44 Abs. 1 und Abs. 4 SGB X lässt zunächst keinen Rückschluss auf eine Unanwendbarkeit dieser Vorschrift für Sozialhilfeleistungen zu. Es wird vielmehr allgemein von "Sozialleistungen" gesprochen. Auch eine systematische Auslegung führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar gilt das SGB X gemäß § 37 Abs. 1 SGB I nur, soweit sich aus den anderen Büchern nichts Abweichendes ergibt. Eine solche Abweichung folgt für Sozialhilfeleistungen entgegen der Rechtsprechung des BVerwG jedoch nicht ohne Weiteres aus dem Grundsatz "keine Leistung für die Vergangenheit." Dieser Grundsatz soll zu den so genannten "Strukturprinzipien" des Sozialhilferechts gehören und besagen, dass für vergangene Zeitabschnitte Sozialhilfe (regelmäßig) nicht zu gewähren sei, weil Sozialhilfe ihrem Wesen nach Hilfe in einer gegenwärtigen Notlage sei (BVerwG, Urteil v. 19.06.1980, 5 C 26/79, Rothkegel, Sozialhilferecht, a.a.O.). Abgeleitet wird der Grundsatz maßgeblich aus § 18 SGB XII bzw. § 5 BSHG (Hohm, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Auflage 2006, § 18 Rn. 3; Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage 2008, § 18 Rn. 5). Danach setzt die Sozialhilfe ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. Dabei besteht der Zweck dieses Grundsatzes darin, eine Schuldenübernahme durch den Sozialhilfeträger auszuschließen. Zu den Schulden gehören solche Bedarfe, von denen der Hilfeträger keine Kenntnis hatte und für die er - von engen Ausnahmen abgesehen - nicht einzustehen hat. Insofern ergeben sich zu dem nach § 44 SGB X geltend gemachten Anspruch bereits strukturelle Unterschiede, denen Rechnung zu tragen ist. Entscheidend ist das Bekanntwerden der Leistungsvoraussetzungen. Für die Zeit davor, also vor Bekanntwerden, fehle es an der Gegenwärtigkeit einer Notlage (vgl. BVerwG, Urteil v. 19.06.1980, 5 C 26/79). "Gegenwart" in diesem Sinne bedeutet also das Bekanntwerden der Notlage (Hohm, a.a.O. § 17 Rn. 35, § 18 Rn. 3). Für die Beurteilung der Frage, ob ein Zeitraum in der Vergangenheit liegt und ob damit Leistungen für die Vergangenheit begehrt werden, kommt es daher auf den Zeitpunkt der Kenntnis des Sozialhilfeträgers von den Leistungsvoraussetzungen an. Sofern der Zeitraum, für den der Hilfebedürftige Leistungen begehrt, nach dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Sozialhilfeträgers liegt, werden keine Leistungen für die Vergangenheit beansprucht und der Grundsatz "keine Hilfe für die Vergangenheit" ist nicht einschlägig. Ob dieser Grundsatz im Ergebnis einer Anwendung des § 44 SGB X entgegensteht, kann daher nur einer Einzelfallentscheidung vorbehalten bleiben, bei der geprüft wird, wann die Leistungsvoraussetzungen dem Sozialhilfeträger bekannt geworden sind und ob Leistungen für einen Zeitraum vor oder nach diesem Zeitpunkt begehrt werden. Nach dem Vorgesagten steht der Grundsatz "keine Hilfe für die Vergangenheit" dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen. Die Leistungen, die die Klägerin ab Januar 2004 begehrt, sind keine "Leistungen für die Vergangenheit". Denn die Beklagte hatte jedenfalls im Februar 2004 Kenntnis von sämtlichen Tatsachen, die den Anspruch der Klägerin auf Mehrbedarf gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 2 BSHG bzw. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII begründeten. Darüber hinaus ist überwiegend anerkannt, dass der Mehrbedarf "rückwirkend" zu gewähren ist, wenn die Schwerbehinderung einschließlich der Gehbehinderung nach einem Streit über deren Vorliegen im Nachhinein rückwirkend festgestellt wird (Gebhardt in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck scher Online-Kommentar Sozialrecht, Stand: 01.06.2007, § 30 SGB XII, Rn. 4; Grube, a.a.O.) und der Hilfesuchende den Bedarf wegen des Zuschlags rechtzeitig bekannt gemacht hat. Denn mit der Bekanntmachung eines Bedarfs setzt die Hilfe gemäß § 18 SGB XII ein, auch wenn die Voraussetzungen des Hilfeanspruchs noch nicht in allen Einzelheiten festgestellt sind, sich aber nachträglich ergibt, dass sie vom Zeitpunkt des Bekanntwerdens vorgelegen haben (Grube, a.a.O.). Ein weiterer systematischer Anhaltspunkt, der jedenfalls seit Einführung des SGB XII für die Anwendung des § 44 SGB X auf Sozialhilfeleistungen spricht, ist die Vorschrift des § 103 Abs. 4 SGB XII (so wohl auch Heße, in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck scher Online-Kommentar, Stand: 01.06.2007, § 44 SGB X, Konkurrenzen Rn. 8). Diese bestimmt, dass für den Kostenersatz bei schuldhaftem Verhalten die §§ 44 bis 50 des SGB X unberührt bleiben. Der Erwähnung des § 44 SGB X kommt nur dann eigenständige Bedeutung zu, wenn § 44 überhaupt auf Leistungen der Sozialhilfe anwendbar ist. Auch Sinn und Zweck des § 44 SGB X gebieten es nicht, diese Vorschrift auf Sozialhilfeleistungen unangewendet zu lassen. Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG, Urteil v. 05.09.2006, B 2 U 24/05 R; Heße, a.a.O., § 44 SGB X, C. Allgemeines Rn. 3). Die Bedeutung der materiellen Gerechtigkeit wird damit in den Vordergrund gerückt, wenn einem Leistungsempfänger, der zum Zeitpunkt der Kenntnis des Sozialhilfeträgers einen gegenwärtigen Bedarf nachgewiesen hat, die entsprechenden Leistungen ab diesem Zeitpunkt auch tatsächlich zugesprochen werden. Mit dieser Auslegung wird weder durch § 44 SGB X ein von der ursprünglich begehrten Sozialhilfe unabhängiger Anspruch geschaffen, der nach dem SGB XII bzw. BSHG nicht besteht, noch ist der Grundsatz "keine Hilfe für die Vergangenheit" verletzt. Die Kenntnis des Sozialhilfeträgers hat vorgelegen, der Grundsatz der notwendigen Kenntnis vom Bedarfsfall steht also bei der vorliegend strittigen Problematik der Anwendung des § 44 SGB X nicht entgegen. Dass der Mehrbedarf auch rückwirkend zu gewähren ist, wenn der Antragsteller rechtzeitig die Voraussetzungen nachweist, ist auch im Übrigen wohl die h.M. in der Kommentarliteratur (vgl. nur Münder in LPK-SGB XII, 8. Auflage 2008, § 30 Rn. 6, Grube, a.a.O.). Soweit in der Literatur als Beleg für gegenteilige Auffassungen Entscheidungen des OVG Lüneburg (FEVS 53, 445) und des OVG Berlin (FEVS 55, 271), aufgeführt werden, so ist darauf hinzuweisen, dass diese jeweils nur die Frage betreffen, zu wessen Lasten längere Bearbeitungszeiten der damals zuständigen Versorgungsverwaltung bei der Entscheidung über das Merkzeichen "G" gehen. Die Entscheidungen der o.g. Oberverwaltungsgerichte betreffen nämlich nur die Frage, ob auch eine Bewilligung des Zuschlages für Zeiten vor Ausstellung des Ausweises mit dem Merkzeichen "G" möglich ist, was von ihnen verneint wird. Diese Konstellation liegt hier nicht vor; das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" wurde schon lange vor dem hier streitigen Zeitraum im Ausweis bestätigt. Der Grundsatz "keine Hilfe für die Vergangenheit" passt hier demnach ohnehin nicht Außerdem hat das BSG seine o.g. Entscheidung (Urteil v. 16.10.2007, B 8/9b SO 8/06 R) zur Anwendung des § 44 SGB X auf die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII maßgeblich auch auf die Feststellung gestützt, dass es sich hierbei um die Gewährung von pauschalierten Leistungen handelt. Genau eine solche "pauschalierte" Leistung ist auch hier streitig, denn nach §§ 23 BSHG, 30 SGB XII ist der Mehrbedarf jeweils als bestimmter Prozentsatz des Regelsatzes zu gewähren. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass auch in § 9 Abs. 3 Asylbewerberleistungsgesetz als ein dem BSHG bzw. dem SGB XII systematisch nahestehendes Gesetz ein Verweis auf § 44 SGB X erfolgt ist. Die Tendenz hin zur Anwendung des § 44 SGB X auf Sozialhilfeleistungen entnimmt der Senat auch den o.g. Urteilen zur Anwendung des § 44 SGB X auf Leistungen der Grundsicherung. Zeichnet sich aber mehr und mehr ab, dass § 44 SGB X auch auf Leistungen der Grundsicherung anwendbar ist, so dürfte dies auch für den vorliegend streitigen Mehrbedarf gelten. Denn die "konzeptionellen" Unterschiede zwischen den Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII und dem Vierten Kapitel des SGB XII sind keinesfalls so erheblich, dass eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 44 SGB X zwingend geboten erscheint. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Der Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung im Sinne eines Interesses der Allgemeinheit an einer einheitlichen Rechtsprechung und Fortentwicklung des Rechts zu. Die in dieser Entscheidung befürwortete Anwendung des § 44 SGB X auf pauschalierte Leistungen der Sozialhilfe ist durch die Rechtsprechung des bislang zuständigen BVerwG verneint worden. Eine höchstrichterliche Entscheidung des nunmehr zuständigen BSG zu der Frage der Anwendbarkeit des § 44 SGB X auf Leistungen der Sozialhilfe nach dem Dritten Kapitel des SGB XII bzw. dem BSHG steht noch aus und es ist zu erwarten, dass in Zukunft noch eine erhebliche Zahl von Fällen zu entscheiden sein wird, in denen es auf diese Rechtsfrage ankommt. Das BSG hat sich bisher nicht abschließend dazu geäußert, ob die Rechtsprechung des BVerwG zur (fehlenden) Anwendbarkeit des § 44 SGB X bei Ansprüchen nach dem BSHG fortgeführt wird, aber bereits Bedenken geäußert (Urteil v. 16.10.2007, B 8/9b SO 8/06 R). In diesem Urteil hat das BSG auch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es § 44 SGB X auch für Ansprüche nach dem zum 31.12.2004 außer Kraft getretenen Grundsicherungsgesetz anwenden werde, was wiederum nahe legt, dass das BSG der Rechtsprechung des BVerwG nicht folgen wird. Der Streitsache kommt daher jedenfalls insoweit grundsätzliche Bedeutung zu, als auch Zeiträume vor dem 01.01.2005 streitig sind.