LSG Celle-Bremen 1. Senat , Urteil vom 28. August 2008 , Az: L 1 R 193/06
Leitsatz
1. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe (§ 46 Abs. 2a SGB VI) ist bereits dann widerlegt, wenn lediglich für einen der Ehegatten die Absicht, dem überlebenden Partner eine Versorgung zu verschaffen, bei der Eheschließung nachweislich nicht maßgebend gewesen ist.
2. Es stellt kein zwingendes Indiz für eine Versorgungsehe dar, dass einer der Partner einer langjährigen Lebensgemeinschaft seinen bisherigen Widerstand gegen eine vom anderen Partner seit längerem gewünschte Heirat gerade dann überwindet, wenn er schwer erkrankt ist.
3. Auch wenn eine Eheschließung nach langjähriger Lebenspartnerschaft erst wenige Wochen vor dem Tod eines der Ehepartner erfolgt, sind bei der Prüfung, ob eine Versorgungsehe vorliegt, alle vom Hinterbliebenen nachgewiesenen Beweggründe für die Eheschließung in ihrer Bedeutung gegeneinander abzuwägen (z.B. Zuneigung; Wunsch nach "Legitimation" und gesellschaftlicher Anerkennung der Partnerschaft; öffentliche Bekräftigung der gegenseitigen Ernsthaftigkeit der Beziehung; Beistand in schweren Zeiten; Versorgungsgesichtspunkte).
vorgehend SG Oldenburg (Oldenburg) 21.03.2006 S 5 RA 333/04
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte erstattet der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wegen Vorliegens einer sog. Versorgungsehe (§ 46 Abs. 2a Sozialgesetzbuch 6. Buch - SGB VI).
Die 1952 geborene Klägerin ist Witwe des am 14. Februar 1954 geborenen und am 5. Mai 2004 verstorbenen J.. Dieser war bei der Beklagten gesetzlich rentenversichert und zuletzt als kaufmännischer Angestellter beschäftigt (monatliches Bruttogehalt: ca 2.800,-- Euro). Die Klägerin ist als kaufmännische Angestellte beschäftigt und erhielt im Mai 2004 ein monatliches Bruttogehalt i.H.v. ca. 2.100,-- Euro.
Die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann lebten seit Mitte 1980 in eheähnlicher Gemeinschaft in einer gemeinsamer Wohnung (ohne Kinder). Die erste Ehe des Ehemanns der Klägerin wurde erst im November 1981 geschieden.
Nach den Angaben der Klägerin verlobte sie sich mit ihrem späteren Ehemann im Jahre 1986. Im Jahre 1998 wurden Eheringe erworben (vgl. den zur Gerichtsakte gereichten Rechnungsbeleg der Fa. K., L., vom 26. März 1998). Nachdem beim Ehemann der Klägerin Ende Januar 2004 eine Krebserkrankung diagnostiziert worden war („Metastasenleber“; Colon-Carcinom), wurde Anfang Februar 2004 das Aufgebot bestellt; die Eheschließung erfolgte am 2. März 2004.
Über seine Erkrankung wurde der Ehemann der Klägerin von seinem behandelnden Internisten Dr. M. am 2. Februar 2002 „voll aufgeklärt“. Ihm wurde - neben einer allgemeinen Aufklärung über die Erkrankung - deren Ernsthaftigkeit „sehr deutlich“ signalisiert. Eine Prognose für die Lebenserwartung teilte Dr. M. zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht mit. Vom 5. bis zum 21. Februar 2004 unterzog sich der Ehemann der Klägerin einer stationären Heilbehandlung, verbunden mit einer Darmoperation. Am 29. April 2004 erfolgte - wiederum durch Dr. M. - ein ärztlicher „Rat zur Gliederung sämtlicher familiärer Angelegenheiten“. Gleichzeitig teilte Dr. M. mit, dass die Lebenserwartung lediglich noch zwei bis drei Monate betrage. Bei diesem Gespräch erwähnte der verstorbene Ehemann der Klägerin gegenüber Dr. M. auch erstmals die - zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgte - Eheschließung mit der Klägerin (vgl. im Einzelnen: Bericht des Dr. M. vom 13. Februar 2006).
Auf den am 26. Mai 2004 von der Klägerin gestellten Antrag auf Witwenrente wies die Beklagte auf § 46 Abs. 2a SGB VI hin, wonach bei einer unter einjährigen Ehe grundsätzlich kein Anspruch auf Witwenrente bestehe. Es sei zu vermuten, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Klägerin machte dagegen geltend, dass es sich nicht um eine Versorgungsehe gehandelt habe. Eine Heirat sei schon 1998 geplant gewesen. Allerdings habe ihr Ehemann die Befürchtung gehegt, dass auch seine zweite Ehe „in die Brüche gehen“ könne. Sie selbst habe dagegen stets den Wunsch gehabt, die Ehe zu schließen. Nach dem guten Verlauf der Darmoperation sei der alsbaldige Tod ihres Ehemannes „absolut nicht vorhersehbar gewesen“.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit der Begründung ab, dass die vom Gesetzgeber vermutete Versorgungsabsicht nicht widerlegt worden sei. Die Art der Erkrankung spreche dafür, dass die Klägerin und ihr Ehemann mit den tödlichen Folgen rechnen mussten (Bescheid vom 11. August 2004).
Der von der Klägerin hiergegen eingelegte Widerspruch, wonach durch die Heirat „auf der seelisch-gefühlsmäßigen Ebene ein bereits lange geplantes Vorhaben in die Tat“ umgesetzt worden sei, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26. November 2004).
Hiergegen hat die Klägerin am 9. Dezember 2004 Klage beim Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben. Sie hat vorgetragen, dass sie trotz der im Januar 2004 gestellten Krebsdiagnose erst seit Ende April 2004 mit dem baldigen Tod ihres Ehemannes habe rechnen müssen. Die gemeinsamen Zukunftsplanungen seien im Januar 2004 und danach weiter verfolgt worden. So habe sich ihr Ehemann noch im Januar 2004 ein neues Auto gekauft und danach noch mit der Anschaffung einer ISDN-Anlage Vorsorge dafür getroffen, seine berufliche Tätigkeit - zunächst von zu Hause aus - wieder aufnehmen zu können. Zu den Untersuchungen sei ihr Ehemann jeweils alleine gegangen. Selbst am Sterbetag habe er noch vorgehabt, allein zur Kontrolle seiner Blutwerte zum Arzt zu gehen. Ihr Ehemann sei es gewesen, der Anfang 2004 gefragt habe, ob man nicht doch heiraten wolle. Zuvor habe er stets nur geringe Initiative in dieser Richtung entwickelt. Nur so sei nachzuvollziehen, dass es 1998 beim Kauf der Eheringe geblieben und kein Aufgebot bestellt worden sei.
Das SG hat Bestätigungen der Meldebehörden über gemeinsame Wohnungen der Klägerin und ihres Ehemannes sowie den Arztbericht des Dr. M. vom 13. Februar 2006 (nebst Anlagen) beigezogen.
In der mündlichen Verhandlung hat das SG die Klägerin ausführlich zur Vorgeschichte, zur Motivation für die Heirat und zu den ihr bekannten Umständen der Erkrankung des Versicherten befragt. Sodann hat es mit Urteil vom 21. März 2006 die Beklagte verurteilt, der Klägerin antragsgemäß Witwenrente zu zahlen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe bei nur kurzer Ehezeit durch das Ergebnis der Beweisaufnahme hinreichend sicher widerlegt worden sei. Abzustellen sei zunächst auf die bereits über 20 Jahre bestehende eheähnliche Gemeinschaft in einer gemeinsamen Wohnung. Die Führung eines einzigen Haushalts sowie gemeinsame Anschaffungen von Hausrat sprächen dafür, dass die Beziehung davon geprägt gewesen sei, füreinander einzustehen und zu sorgen. Die Klägerin und ihr späterer Ehemann hätten bereits vor dem Jahre 2004 ernsthaft erwogen, die Ehe einzugehen. Entgegen den üblichen Verhältnissen einer Versorgungsehe sei das Auskommen der Klägerin auch ohne eine Witwenrente gesichert gewesen (monatliches Nettoeinkommen von ca 1.300,-- Euro; Auszahlung von Beträgen i.H.v. von 50.000,-- Euro bzw 20.000,-- Euro aus zwei zu ihren Gunsten abgeschlossenen Lebensversicherungen). Infolge der Anrechnungsvorschriften habe die Klägerin im Zeitpunkt der Eheschließung nur einen geringen Auszahlungsbetrag der Witwenrente erwarten können. Glaubhaft seien die Angaben der Klägerin bezüglich ihrer Kenntnis über den Ablauf der Krebserkrankung. Es sei davon auszugehen, dass sie zur Zeit der Heirat zwar die Schwere der Erkrankung grundsätzlich gekannt habe, nicht jedoch damit gerechnet habe (und auch nicht damit habe rechnen müssen), dass der Versicherte in Kürze sterben werde. Zum Einen lasse sich den Ausführungen des Dr. M. keine Information der Klägerin persönlich entnehmen, zum Anderen habe dieser Arzt auch den Versicherten selbst erst nach erfolgter Eheschließung (nämlich am 29. April 2004) über die ihm verbleibende Lebenserwartung informiert.
Gegen das ihr am 26. April 2006 zugestellte Urteil richtet sich die Beklagte mit ihrer am 16. Mai 2006 eingelegten Berufung. Zu deren Begründung trägt sie vor, die gesetzgeberische Vermutung einer Heirat aus Versorgungsgründen bestehe auch dann, wenn nach Einkommensanrechnung nur eine geringfügige Verbesserung der wirtschaftliche Situation des überlebenden Ehegatten eintrete. Die lange Dauer der eheähnlichen Gemeinschaft spreche nicht gegen, sondern gerade für die Vermutung einer Versorgungsehe: Der ernsthafte Heiratswunsch sei bei dem Verstorbenen erst unter dem Eindruck der Schwere seiner Erkrankung entstanden. Dies habe der Klägerin nicht verborgen bleiben können. Selbst wenn die Klägerin über die Diagnose und die noch verbliebene Lebenserwartung nur unzureichend informiert gewesen sein sollte, habe ihr die zunehmende Schwäche des Versicherten und dessen erheblich verschlechterter Allgemeinzustand nicht verborgen bleiben können. Im Übrigen sei zweifelhaft, ob in den Anschaffungen im Januar 2004 Indizien für eine längerfristige Zukunftsplanung der Ehegatten zu sehen seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 21. März 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Rentenakte der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, der Klägerin Witwenrente nach § 46 Abs. 2 SGB VI zu gewähren.
Entgegen der Auffassung der Beklagten steht der Gewährung einer großen Witwenrente nach § 46 Abs. 2 SGB VI, deren Anspruchsvoraussetzungen unstreitig erfüllt sind, nicht der Ausschlussgrund einer Versorgungsehe (§ 46 Abs. 2a SGB VI) entgegen.
Nach § 46 Abs. 2a SGB VI haben Witwen dann keinen Anspruch auf Witwenrente, wenn die Ehe nicht mindestens 1 Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Diese gesetzliche Bestimmung ist mit Wirkung zum 1. Januar 2002 in das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung eingeführt worden (Gesetz vom 21. 3. 2001, BGBl I 403) und entspricht den Regelungen zur Versorgungsehe in der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs. 6 SGB VII), im sozialen Entschädigungsrecht (§ 38 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz - BVG -) und im Beamtenversorgungsrecht.
Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe kann dadurch widerlegt werden, dass Umstände nachgewiesen werden, die trotz der kurzen Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen lassen. Hierzu ist nicht erforderlich, dass bei beiden Ehegatten andere Beweggründe als Versorgungsgesichtspunkte ausschlaggebend waren. Vielmehr reicht es aus, dass lediglich für einen der Ehegatten die Absicht, dem überlebenden Partner eine Versorgung zu verschaffen, nachweislich nicht maßgebend gewesen ist (BSG, Urteil vom 3. September 1986 - 9a RV 8/84, SozR 3100 § 38 Nr 5 - zu § 38 BVG; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. September 2007 - L 3 RJ 126/05, NZA-RR 2008, 207; LSG Hessen, Urteil vom 30. November 2007 - L 5 R 133/07; Kasseler-Kommentar/Gürtner, § 46 SGB VI, Rn 46c; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Band I, § 46 SGB VI Anm 4).
Zwar bestand die Ehe tatsächlich nur 2 Monate und 3 Tage, somit deutlich weniger als ein Jahr. Aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls ist jedoch nachgewiesen, dass der Entschluss (zumindest) der Klägerin zur Eheschließung nicht allein bzw. überwiegend auf der Absicht beruhte, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu begründen.
Für das Verständnis der zur Eheschließung führenden Motivlage der Klägerin ist entscheidend, dass diese mit ihrem späteren Ehemann zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits seit ca. 24 Jahren in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gelebt hatte. Zum Zeitpunkt der Begründung eines gemeinsamen Haushalts im Jahre 1980 konnte eine Ehe - unabhängig von einem entsprechendem Willen der Klägerin bzw. ihres Ehemanns - bereits aus Rechtsgründen nicht geschlossen werden, da ihr verstorbener Ehemann erst im November 1981 geschieden wurde. Nachfolgend erfolgte im Jahre 1986 die Verlobung und 1998 der - mittels Vorlage des Kaufbelegs nachgewiesene - Kauf von Eheringen. Diese mehr als 20 Jahre bestehende „ernsthafte“ partnerschaftliche Beziehung zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann wird auch von der Beklagten nicht bestritten (vgl. S. 2 der Berufungsbegründung vom 14. Juni 2006). Das gegenseitige Füreinandereinstehen bereits in der Zeit vor der Eheschließung ergibt sich zudem aus der gemeinsamen Haushaltsführung, der gegenseitigen Einsetzung zu Erben sowie aus dem Abschluss von Lebensversicherungen zugunsten der Klägerin. Dass die Ehe nach der Eheschließung am 2. März 2004 auch als solche gelebt wurde (vgl. zu diesem Erfordernis für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung nach § 46 Abs. 2a SGB VI: BSG, Urteil vom 3. September 1986, a.a.O.), ist ebenfalls unstreitig.
Nach den glaubhaften Angaben der Klägerin hatte diese somit bereits seit langem - möglicherweise sogar von Anfang an - einen festen Heiratswunsch. Dieser wurde u.a. in der Verlobung (1986) und dem Kauf der Eheringe (1998) auch nach außen erkennbar.
Dass es dann tatsächlich zunächst nicht zur Eheschließung kam, hat die Klägerin mit Termingründen (Widerspruch vom 25. August 2008) bzw. damit begründet, dass ihr verstorbener Ehemann ein „ruhiger Mensch“ gewesen sei, der „in solchen Dingen nicht viel Initiative entwickelt“ habe. Vielmehr hätte sie (die Klägerin) - wenn sie denn damals bereits eine sofortige Eheschließung gewollt hätte - selbst das Aufgebot bestellen müssen; ihr Ehemann habe dagegen „immer viel zum Abwarten“ geneigt (vgl. Erklärung der Klägerin gegenüber dem SG Oldenburg, S. 2 des Protokolls vom 21. März 2006). Zudem habe ihr Ehemann nach dem Scheitern seiner ersten Ehe befürchtet, dass auch die zweite Eheschließung letztlich zu einem Scheitern der Beziehung führen könnte (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 25. August 2006).
Zusammenfassend beruhte es also allein auf der zögerlichen bzw. ablehnenden Haltung des Versicherten N. O., dass es zunächst nicht zu der - von der Klägerin bereits seit ca. 20 Jahren gewünschten - Eheschließung kam. Der Zeitablauf enthält dagegen - entgegen der Auffassung der Beklagten (S. 2f. der Berufungsbegründung) - keinerlei Anhaltpunkte dafür, dass für die Klägerin im März 2004 andere Motive für die Eheschließung im Vordergrund standen als - wie bereits in den vergangenen ca. 20 Jahren - die gegenseitige Zuneigung sowie ihr Wunsch nach einer „Legitimation“ der langjährigen partnerschaftlichen Beziehung. Aufgrund dieser von Versorgungsgesichtpunkten unabhängigen Beweggründe zumindest der Klägerin liegt keine Versorgungsehe i.S.d. § 46 Abs. 2a SGB VI vor. Damit kommt es - wie bereits ausgeführt - nicht mehr darauf an, ob der Anfang 2004 hinsichtlich einer Eheschließung eingetretene Sinneswandel des Versicherten N. O. auf der Absicht beruhte, der Klägerin Versorgungsansprüche zu verschaffen.
Auch die Umstände der Eheschließung enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass für die Klägerin neben ihren bereits seit langem bestehenden Beweggründen (Zuneigung; „Legitimation“ der Beziehung) weitere Motive (insbes. Versorgungsgesichtspunkte) eine wesentliche Rolle gespielt hätten. So wussten zum Zeitpunkt der Bestellung des Aufgebots bzw. zum Zeitpunkt der Eheschließung weder die Klägerin noch ihr Ehemann von dessen nur noch sehr geringer Lebenserwartung. Denn eine konkrete ärztliche Prognose wurde dem verstorbenen Ehemann erst am 29. April 2004 mitgeteilt (somit mehr als 6 Wochen nach erfolgter Eheschließung). Die Klägerin hat anschaulich und glaubhaft dargelegt, dass ihr Ehemann sie an diesem Tag unmittelbar nach seinem Gespräch mit Dr. M. angerufen und gebeten habe, sofort nach Hause zu kommen. Dort habe er ihr die Einschätzung von Dr. Utescher mitgeteilt; erstmals in diesem Moment sei ihnen (der Klägerin und ihrem Ehemann) klar gewesen, dass ihr Ehemann bald sterben werde.
In das Bild der von der Klägerin geschilderten Eheschließung aus Liebe und Zuneigung fügen sich auch der Ablauf der Trauungszeremonie mit der Anwesenheit der Trauzeugen, des Bruders und der Freunde, der Empfang durch Freunde aus dem Tennisverein und die für den Sommer geplante Hochzeitsfeier ein.
Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich auch nicht aus der seit Ende Januar 2004 bestehenden Kenntnis der Erkrankung auf eine Versorgungsehe schließen.
Der erkennende Senat hat bereits erhebliche Zweifel daran, dass die Klägerin und ihr Ehemann als medizinische Laien bereits im Februar / März 2004 allein aus der Kenntnis der Diagnose sicher auf ein alsbaldiges Ableben des Ehemanns der Klägerin schließen konnten. Denn der Ehemann der Klägerin war von Dr. M. vor der Eheschließung lediglich über die Schwere der Erkrankung (einschließlich eines möglicherweise tödlichen Verlaufs) aufgeklärt worden, nicht jedoch über die ihm voraussichtlich noch verbleibende Lebenszeit. Erst recht wusste die Klägerin zum Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht um die Dauer der ihrem Ehemann noch verbleibenden Lebenszeit. Vielmehr hat sie - auch für den erkennenden Senat glaubhaft - dargelegt, damals noch nicht mit einem alsbaldigen Ableben ihres Ehemannes gerechnet zu haben. Dies ist angesichts des Geschehensablaufes auch für den erkennenden Senat nachvollziehbar, da selbst bei ernsthaften Krebserkrankungen durchaus noch Heilungsaussichten bestehen, soweit operative Eingriffe noch möglich sind und auch tatsächlich durchgeführt werden. Diese Einschätzung wird im vorliegenden Fall auch dadurch gestützt, dass selbst in der zweiten Hälfte des April 2004 (d.h. ca. 6 Wochen nach erfolgter Eheschließung und nur ca. 2 Wochen vor dem Tod des Ehemanns der Klägerin) noch Therapieansätze gesehen wurden und eine Wiedervorstellung des Ehemanns der Klägerin im P. für Anfang Juni 2004 vorgemerkt wurde (vgl. Arztbrief der Klinik für Strahlentherapie des Q. vom 20. April 2004). Zudem war - selbst bei Ausbleiben der erhofften Rekonvaleszenz - nach damaligem Kenntnisstand nicht ausschließlich mit einem alsbaldigen Ableben zu rechnen; ebenso wahrscheinlich hätte es zuvor noch zu einer (möglicherweise auch länger andauernden) Pflegebedürftigkeit kommen können. Bei einer Eheschließung, die der Sicherstellung der Pflege dient („Pflegeehe“), handelt es sich nach der Rechtsprechung des BSG jedoch gerade nicht um eine Versorgungsehe (BSG, Urteil vom 3. September 1986, a.a.O.). Ebenso wenig handelt es sich bei einer Ehe, die zur Bekräftigung eines „Beistands in schweren Zeiten“ aufgefasst werden muss, um eine Versorgungsehe. Deshalb stellt es auch kein Indiz für eine Versorgungsehe dar, wenn einer der Partner einer langjährigen Lebensgemeinschaft gerade dann seinen bisherigen Widerstand gegen eine vom anderen Partner seit längerem gewünschte Heirat überwindet, wenn er schwer erkrankt ist (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 10. Dezember 2003 - L 8 U 65/02).
Nach alledem stellt selbst die Kenntnis beider Ehepartner von einer schweren, voraussichtlich innerhalb eines Jahres zum Tode führenden Erkrankung eines der beiden Ehegatten lediglich ein Indiz für eine Versorgungsehe i.S.d. § 46 Abs. 2a SGB VI dar. Denn § 46 Abs. 2a SGB VI bestimmt gerade nicht, dass bei ein- oder auch beidseitiger Kenntnis vom alsbaldigen Ableben eines der Ehepartner eine Versorgungsehe unwiderlegbar vorliegt. Bei der Prüfung, ob die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI widerlegt werden kann, sind vielmehr alle vom Hinterbliebenen nachgewiesenen Beweggründe für eine Eheschließung (wie z.B. Zuneigung; Wunsch nach „Legitimation“ und gesellschaftlicher Anerkennung der Partnerschaft; öffentliche Bekräftigung der gegenseitigen Ernsthaftigkeit der Beziehung; Beistand in schweren Zeiten; Versorgungsgesichtspunkte) in ihrer Bedeutung gegeneinander abzuwägen. Da (zumindest) bei der Klägerin Versorgungsgesichtpunkte keine wesentliche Bedeutung erlangt haben, hat das SG die Beklagte zu Recht dem Grunde nach zur Rentengewährung verurteilt (Grundurteil gem. § 130 SGG). Ein Anspruch auf Große Witwenrente (§ 46 Abs. 2 SGB VI) besteht zumindest in den ersten drei Monaten nach dem Tode des Versicherten. Welche Ansprüche der Klägerin nach Ablauf des 3. Sterbemonats unter Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen (u.a. Anrechnungsvorschriften nach § 97 SGB VI) noch zustehen, wird die Beklagte im Einzelnen zu prüfen haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Es bestand kein gesetzlicher Grund, die Revision nach § 160 Abs 2 SGG zuzulassen.