Die Berufung gegen den Rückforderungsbescheid hatte Erfolg, weil nach Auffassung des LSG der Versicherte nicht „bösgläubig“ war. „Ein Antragsteller, der zutreffende Angaben gemacht hat, ist im Allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten ist, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Er darf vielmehr davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt. Das gilt selbst dann, wenn Antragsteller über ihre Rechte und Pflichten durch Merkblätter aufgeklärt werden. Andernfalls würde Begünstigten durch Merkblätter das Risiko für die sachgerechte Berücksichtigung von eindeutigen Tatsachen durch eine Fachbehörde aufgebürdet. Auch bei der Berücksichtigung der Vielfalt von Aufgaben und der Vielzahl der zu bearbeitenden Vorgänge ist es aber gerade die Aufgabe der Fachbehörde, wahrheitsgemäße tatsächliche Angaben von Antragstellern rechtlich einwandfrei umzusetzen und dies Betroffenen in der Begründung des Bescheids deutlich zu machen“

Der beweispflichtige Leistungsträger kann die Bösgläubigkeit auch aufgrund des Beratungsgesprächs nicht beweisen. Zu seinen Lasten wirkt sich aus, dass der Inhalt des Gesprächs nicht ermittelbar ist. „Ist bewiesen, dass der Leistungsempfänger wegen eines rechtswidrigen Bewilligungsbescheids eine Auskunft des Leistungsträgers erhalten hat, hat der Leistungsträger den entscheidungserheblichen Gegenstand des Auskunftsgesprächs durch eine organisatorisch sicherzustellende Dokumentation nachzuweisen.“

 

LSG Darmstadt 7 . Senat , Urteil vom 18. Juni 2010 , Az: L 7 AL 78/07

 

Leitsatz

Der Leistungsträger trägt die objektive Beweislast für die Voraussetzungen einer Rücknahme des Bewilligungsbescheids nach § 45 SGB X. Nur Tatsachen aus dem Verantwortungsbereich des Leistungsberechtigten sind hiervon nicht erfasst. Ist bewiesen, dass der Leistungsempfänger wegen eines rechtswidrigen Bewilligungsbescheids eine Auskunft des Leistungsträgers erhalten hat, hat der Leistungsträger den entscheidungserheblichen Gegenstand des Auskunftsgesprächs durch eine organisatorisch sicherzustellende Dokumentation nachzuweisen. Ist das nicht erfolgt, gehen entscheidungserhebliche Zweifel über Inhalt und Umfang der erfolgten Auskunft zu seinen Lasten.

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 26. März 2007 wird zurückgewiesen und auch der Änderungsbescheid der Beklagten vom 18. Juni 2010 aufgehoben.

II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die teilweise Rücknahme und Erstattung bewilligter Arbeitslosenhilfe (Alhi) für den Zeitraum vom 14. März 2002 bis 8. Dezember 2002.

Der 1969 geborene Kläger besitzt die sudanesische Staatsangehörigkeit. Er ist anerkannt asylberechtigt. Vor seiner Einreise aus dem Herkunftsland am 14. Februar 1998 war er im Sudan als Rechtsanwalt tätig.

Der Kläger meldete sich bei der Beklagten am 29. März 2001 zum 1. April 2001 arbeitslos und beantragte erstmals die Bewilligung von Arbeitslosengeld. Er gab dabei im Antragsformblatt an, verheiratet zu sein. Gleichwohl sei noch die Lohnsteuerklasse I eingetragen. Es solle aber ein Lohnsteuerklassenwechsel vorgenommen werden, weil seine Ehefrau aus dem Ausland zuziehen würde.

Mit Bescheid vom 25. April 2001 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 1. April 2001 Arbeitslosengeld für längstens 180 Kalendertage nach der Leistungsgruppe A ohne Kindermerkmal auf Grundlage des zuvor festgestellten wöchentlichen Bemessungsentgelts. Mit weiterem Bescheid vom selben Tage änderte sie die Bewilligung ab dem 11. April 2001 insoweit ab, als nunmehr aufgrund des vorgenommenen Lohnsteuerklassenwechsels von I zu III die Leistungsgruppe C mit einem täglichen Leistungssatz in Höhe von 45,41 DM maßgeblich war. Hintergrund für den Lohnsteuerklassenwechsel war, dass der Kläger seit dem 6. April 2001 mit seiner Ehefrau in einem gemeinsamen Haushalt lebt.

Mit weiterem Änderungsbescheid vom 30. August 2001 änderte die Beklagte die Arbeitslosengeldbewilligung noch dahingehend ab, dass sie Arbeitslosengeld für längstens 240 Kalendertage bewilligte.

Vom 27. September 2001 bis 5. Januar 2002 schied der Kläger aus dem Leistungsbezug aus, weil er eine Zwischenbeschäftigung bei der C. AG aufnahm, für die er noch eine Urlaubsabgeltung bis 11. Januar 2002 erhielt. Wegen der Höhe des daraus erzielten Arbeitsentgelts wird auf die Arbeitsbescheinigung verwiesen.

Am 4. Januar 2002 meldete sich der Kläger bei der Beklagten erneut arbeitslos und stellte einen Antrag auf Weiterzahlung des Arbeitslosengeldes. Dabei gab er an, vom 8. Januar 2002 bis 31. Januar 2002 bei seinem letzten Arbeitgeber eine kurzzeitige Nebenbeschäftigung aufzunehmen.

Die Beklagte bewilligte daraufhin dem Kläger mit Bescheid vom 23. Januar 2002 Arbeitslosengeld ab dem 12. Januar 2002 nunmehr nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 425,00 € wöchentlich weiter. Der tägliche Leistungssatz betrug nunmehr 28,25 €. Mit weiterem Änderungsbescheid unbekannten Datums minderte die Beklagte das Arbeitslosengeld für Januar 2002 aufgrund einer Anrechnung erzielten Einkommens aus der kurzzeitigen Nebenbeschäftigung um 255,08 €. Zugleich setzte sie einen Erstattungsbetrag in gleicher Höhe fest. Zudem wies sie darauf hin, dass der Erstattungsbetrag gegen laufende Leistungen aufgerechnet würde.

Wegen des am 12. Februar 2002 geborenen Kindes ließ der Kläger ab dem Geburtstag ein Kindermerkmal auf seiner Lohnsteuerkarte eintragen. Deswegen änderte die Beklagte mit Bescheid vom 12. März 2002 die Höhe des Arbeitslosengeldes ab dem 12. Februar 2002 dahingehend ab, dass nunmehr Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe C unter Berücksichtigung des Kindermerkmals bewilligt wurde. Das entsprach einem erhöhten täglichen Leistungssatz in Höhe von 31,54 € täglich bis zur Anspruchserschöpfung zum 13. März 2002.

Am 18. Februar 2002 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Alhi. Dabei bestätigte er im Antragsformblatt schriftlich, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben.

Zur Berechnung des maßgeblichen Bemessungsentgeltes zog die Beklagte von dem für die Bewilligung von Arbeitslosengeld maßgeblichen Arbeitsentgeltes als solche ausgewiesene Einmalzahlungen in Höhe von 2.773,90 DM für Urlaubs-, Weihnachtsgeld sowie Prämie ab und teilte den so ermittelten Betrag durch 51,6 Wochen. Das ergab ein wöchentliches Bemessungsentgelt in Höhe von 774,79 DM. Dabei vergaß die Beklagte offensichtlich, dass seit dem 1. Januar 2002 eine Umstellung auf €-Beträge erforderlich war, weil der ermittelte Betrag als € ausgezahlt wird.

Aufgrund dieses Fehlers bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 14. März 2002 durch das Arbeitsamt D. Alhi ab dem 14. März 2002 nach einem gerundeten Bemessungsentgelt in Höhe von 775,00 €, Leistungsgruppe C mit Kindermerkmal in Höhe eines erhöhten täglichen Leistungssatzes von 41,25 €.

Am 30. Juni 2002 zog der Kläger mit seiner Familie nach E.-Stadt und meldete sich dort am 1. Juli 2002 arbeitslos. Er bestätigte erneut im Antragsformblatt das Merkblatt 1 für Arbeitsuchende erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger durch das Arbeitsamt E-Stadt Prüfung mit Bescheid vom 6. August 2002 ab dem 1. Juli 2002 Alhi in bisheriger Höhe längstens bis zum 30. Juni 2003 weiter.

Die Bewilligung hob die Beklagte ab dem 9. Dezember 2002 auf, weil an diesem Tag der Kläger aus dem Leistungsbezug wegen Aufnahme einer Ausbildung ausschied.

Einem Aktenvermerk der Beklagten vom 24. Januar 2003 ist zu entnehmen, dass angenommen wurde, ein falsches Bemessungsentgelt bei der Alhi-Bewilligung zugrunde gelegt zu haben. Aus der beigefügten neuen Berechnung geht hervor, dass entgegen der vorherigen Berechnung durch das Arbeitsamt D. folgende Berechnungsfaktoren beanstandet sind:

1. Die berücksichtigte Wochenzahl von 51,6 unter Einbeziehung zwei unbezahlter Tage im Bemessungszeitraum statt 52 Wochen;

2. die Nichtberücksichtigung der erhaltenen Prämien für die Beschäftigung als Lagerarbeiter bei der Bestimmung des im Bemessungszeitraum erzielten Arbeitsentgelts;

3. die unterbliebene Umrechnung des ungerundeten Bemessungsentgelts in €-Beträge.

Daher legte die Beklagte jetzt das für die Bewilligung von Arbeitslosengeld maßgebliche Arbeitsentgelt in Höhe von 42.752,87 € abzüglich Weihnachts- und Urlaubsgeld in Höhe von 2.400,00 DM zugrunde, teilte diesen Betrag durch 52 Kalenderwochen und kam so zu einem wöchentlichen Bemessungsentgelt in Höhe von 776,02 DM, das sind 396,77 €, gerundet 395,00 €. Das entspricht einem erhöhten Leistungssatz nach der Leistungsgruppe C in Höhe von 25,33 € täglich.

Mit Schreiben vom 24. Januar 2003 hörte die Beklagte den Kläger zu einer vorgesehenen Abänderung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum vom 14. März 2002 bis zum 8. Dezember 2002 sowie der Festsetzung eines Erstattungsbetrages in Höhe von insgesamt 4.298,40 € an. Dabei wies sie nur darauf hin, es seien versehentlich die Berechnungsdaten nicht in €-Beträge umgerechnet worden. Das habe der Kläger erkennen können, so dass über die Aufhebung durch Ermessen zu entscheiden sei.

Mit Bescheid vom 4. Februar 2003 nahm die Beklagte die Bewilligung von Alhi ab dem 14. März 2002 teilweise in Höhe von 111,44 € wöchentlich (15,92 € täglich) zurück und setzte einen Erstattungsbetrag in Höhe von 4.298,40 € fest (270 Tage mal 15,92 €). Von einer Erstattung entrichteter Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung sah sie hingegen ab. Zur Begründung führte sie insbesondere aus, auch wenn den Kläger kein Verschulden an der Überzahlung träfe, habe er aufgrund des ihm ausgehändigten Merkblattes für Arbeitslose bzw. des ergänzenden Merkblattes für Arbeitslosenhilfe erkennen können, dass ihm Alhi in zunächst bewilligter Höhe nicht zustehen könne.

Hiergegen legte der Kläger am 26. Februar 2003 schriftlich Widerspruch ein. Er habe aufgrund seines zuletzt bei der C. AG erzielten Arbeitsentgelts in Höhe von 2.015,51 € für November 2001 keinen Zweifel daran gehabt, dass ihm Alhi in Höhe von 288,75 € wöchentlich zustehen kann. Weiter habe sich eine Änderung aufgrund des am x. x. 2002 geborenen Kindes ergeben. Schließlich habe sowohl das Arbeitsamt D. als auch das Arbeitsamt E-Stadt ihm fehlerhaft Alhi bewilligt. Er sei im Vertrauen auf die ihm zustehende Arbeitslosenhilfe in eine teurere Wohnung gezogen, ohne einen Anspruch auf Wohngeld zu haben. Zudem habe er auf einen Anspruch auf Erziehungsgeld in voller Höhe verzichtet. Diese entgangenen Leistungen müssten bei der vorgesehenen Erstattung Berücksichtigung finden.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2003 als unbegründet zurück. Sie führte dabei ergänzend zur bisherigen Begründung aus, der Kläger habe ohne Weiteres erkennen können, dass ihm Alhi in der bewilligten Höhe nicht zustehe, da die Alhi nicht so erheblich auch bei Änderung der Steuerklasse, höher sein könne wie das zuvor bezogene Arbeitslosengeld. Schließlich habe die Höhe der bewilligten Alhi nahezu der Höhe des zuvor bezogenen Arbeitsentgelts entsprochen.

Hiergegen hat der Kläger am 9. April 2003 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) Klage erhoben.

Der Kläger hat unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung vom 24. April 2003 darauf hingewiesen, er habe zunächst Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich 197,79 € und dann 220,78 € erhalten. Nachdem die Beklagte ihm mit Bescheid vom 14. März 2002 Alhi in Höhe von 288,75 € wöchentlich bewilligt habe, habe er selber unverzüglich das Arbeitsamt in D. aufgesucht. Auch wenn er sich an das genaue Datum nicht mehr erinnern könne, müsse das ungefähr um den 15. März 2002 herum gewesen sein. Eine Mitarbeiterin in der Informationsstelle im 2. Obergeschoß habe nach Angabe seiner Kundennummer und Vorlage des Bewilligungsbescheides ihm mitgeteilt, der Zahlungsbetrag in Höhe von 288,75 € wöchentlich sei korrekt. Die Erhöhung könne auf die einkommensteuerrechtliche Änderung zurückzuführen sein. Wegen der kurz zuvor geänderten Steuerklasse und auch des Prozentsatzes sei er dann davon ausgegangen, dass alles in Ordnung sei. Erst recht sei er davon überzeugt gewesen, als auch das Arbeitsamt E-Stadt ihm Alhi in bisheriger Höhe bewilligte. Die Beklagte hat erwidert, den elektronisch gespeicherten Beratungsvermerken vom 4. Januar 2002 sei eine entsprechende Mitteilung nicht zu entnehmen. Auch unter Berücksichtigung der Berufsausbildung des Klägers (Rechtsanwalt im Sudan) sei davon auszugehen, dass er anhand der Merkblätter und der dort aufgeführten Berechnungsbeispiele hätte erkennen müssen, dass ihm Alhi in bewilligter Höhe nicht zustehen könne.

Das SG hat mit Urteil vom 26. März 2007 den Bescheid der Beklagten vom 4. Februar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2003 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger könne kein Schuldvorwurf gemacht werden. Es sei tatsächlich ein Steuerklassenwechsel eingetreten und weiter habe die Beklagte selber zweimal nacheinander Alhi in falscher Höhe bewilligt. Deshalb habe der Kläger davon ausgehen können, dass die Höhe der Bewilligung korrekt ist. Insbesondere träfe ihn keine Pflicht, Bewilligungsbescheide zu überprüfen.

Gegen das ihr am 12. April 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 9. Mai 2007 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Auf Hinweis des Senats hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2010 einen Änderungsbescheid mit der Maßgabe erlassen, dass die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe nur in Höhe von 15,67 € täglich zurückgenommen und ein Erstattungsbetrag in Höhe von 4.230,90 € festgesetzt wird. Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung persönlich befragt. Insoweit wird wegen der Einzelheiten auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Der Kläger hat eine Abrechnung der C. AG für den Beschäftigungszeitraum November 2001 vorgelegt, aus der hervorgeht, dass er wegen einer Nachzahlung für Oktober 2001 insgesamt 3.942,00 DM (umgerechnet 2.015,51 €) erhalten hat.

Die Beklagte weist darauf hin, dass ein Beratungsvermerk über die behauptete Auskunft bei dem Arbeitsamt D. nicht vorhanden sei. Sowohl der Steuerklassenwechsel (11. April 2001) als auch die Eintragung eines Kindermerkmals (12. Februar 2002) sei vor dem Beginn der Bewilligung von Alhi erfolgt. Der Kläger habe erkennen müssen, dass die Alhi nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 775,00 € gewährt wird, hingegen das Arbeitslosengeld nur nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 425,00 € bestimmt sei. Weiter habe ihm auch der deutlich höhere Auszahlungsbetrag auffallen müssen.

 

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 26. März 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und auch den Änderungsbescheid der Beklagten vom 18. Juni 2010 aufzuheben.

Der Kläger weist darauf hin, dass die Erhöhung des Prozentsatzes auf 67 % wegen der Eintragung eines Kindermerkmals auf der Lohnsteuerkarte erst am 12. März 2002 erfolgt sei. Er habe deswegen davon ausgehen können, wegen der unterhaltsberechtigten Ehefrau mit Kind höhere Leistungen erhalten zu können. Über berufliche Kenntnisse zur Beurteilung der Leistungshöhe verfüge er als Busfahrer nicht. Weiter sei entscheidend darauf abzustellen, wie das SG bestätigt habe, dass die Beklagte zweimal in der derselben Höhe Alhi in falscher Höhe bewilligt habe. Er habe deswegen davon ausgehen können, dass das zutreffend sei. Auch seine Prozessbevollmächtigte könne aus eigener Erfahrung bestätigen, dass Auskünfte bei den Arbeitsämtern nicht stets vermerkt würden. Im Übrigen wiederholt er sein bisheriges Vorbringen. Auch habe er ausweislich der vorgelegten Entgeltabrechnung der C. AG für November 2001 bei einem Auszahlungsbetrag in Höhe von 2.015,51 € davon ausgehen können, dass Alhi in bewilligter Höhe rechtmäßig gezahlt ist.

Wegen weiterer Einzelheiten und dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Leistungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Einbezogen in das Berufungsverfahren ist der Änderungsbescheid der Beklagten vom 18. Juni 2010, der nach §§ 153 Abs. 1, 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist. Auf die so erweiterte Klage des Klägers im Berufungsverfahren hat der Senat auch diesen Änderungsbescheid aufgehoben und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, weil die angefochtenen Bescheide der Beklagten rechtswidrig sind und den Kläger aufgrund der entgegenstehenden Alhi-Bewilligung in eigenen Rechten verletzten.

Die Voraussetzungen für eine Erstattung gezahlter Alhi aufgrund eines aufgehobenen Bewilligungsbescheids nach § 50 Abs. 1 SGB X liegen nicht vor.

Entgegen der Auffassung der Beklagten bleiben die Voraussetzungen für eine Rücknahme für die Vergangenheit nach § 330 Abs. 2 SGB III i.V.m. § 45 Abs. 1 und 2 S. 3, Abs. 3 und 4 SGB X zu Lasten der Beklagten unbewiesen.

Es fehlt insoweit mit der notwendigen Sicherheit an dem erforderlichen Schuldvorwurf gemäß § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X, der ohnehin vorliegend nur hätte erfüllt sein können, wenn der Kläger die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt hätte (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X).

Als maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei auf die Bekanntgabe des zurückzunehmenden Bescheides abzustellen. Ausgehend von den Bewilligungsbescheiden vom 14. März 2002 für den Zeitraum vom 14. März 2002 bis 30. Juni 2002 und 6. August 2002 für den Zeitraum ab 1. Juli 2002 ist danach auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Bescheide abzustellen. Mangels Postaufgabevermerks der Beklagten ist nur der tatsächliche Zugang maßgeblich. Ein genauer Zugang lässt sich danach auch aufgrund der persönlichen Befragung des Klägers im Verhandlungstermin nicht mehr fixieren. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Kläger die Bescheide zeitnah zu ihrem Erlass erhalten haben wird.

Zu den danach maßgeblichen Zeitpunkten ist ein hinreichender Schuldvorwurf dem Kläger nicht nachzuweisen.

Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss; dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff). Bezugspunkt für das grob fahrlässige Nichtwissen ist schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes - also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde. Allerdings können "Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung", auch wenn sie nicht Bezugspunkt des grob fahrlässigen Nichtwissens sind, Anhaltspunkte für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind (BSG, 8.2.2001 - B 11 AL 21/00 R mwN).

Zwar besteht nach der Rechtsprechung des BSG eine Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Denn aus dem Sozialrechtsverhältnis ist herzuleiten, dass die Beteiligten "sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren" haben. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass ein Antragsteller, der zutreffende Angaben gemacht hat, im Allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten ist, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Er darf vielmehr davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt. Das gilt selbst dann, wenn Antragsteller über ihre Rechte und Pflichten durch Merkblätter aufgeklärt werden, die abstrakte Erläuterungen über Voraussetzungen von Ansprüchen und deren Bemessung enthalten. Andernfalls würde Begünstigten durch Merkblätter das Risiko für die sachgerechte Berücksichtigung von eindeutigen Tatsachen durch eine Fachbehörde aufgebürdet. Auch bei der Berücksichtigung der Vielfalt von Aufgaben und der Vielzahl der zu bearbeitenden Vorgänge ist es aber gerade die Aufgabe der Fachbehörde, wahrheitsgemäße tatsächliche Angaben von Antragstellern rechtlich einwandfrei umzusetzen und dies Betroffenen in der Begründung des Bescheids deutlich zu machen (BSG, 8.2.1001, a.a.O. mwN).

Der Kläger hat glaubhaft bei seiner persönlichen Befragung zugestanden, selber Zweifel gehabt zu haben, weil die Alhi höher gewesen sei als das zuletzt bezogene Arbeitslosengeld. Er hat jedoch ebenso glaubhaft versichert, deswegen das Arbeitsamt D. im März 2002 aufgesucht und wegen des Bewilligungsbescheids um Auskunft gebeten zu haben.

Zu Lasten der Beklagten bleibt unbewiesen, ob der Kläger aufgrund der Auskunft davon ausgehen durfte, dass die Höhe der bewilligten Alhi nicht zu beanstanden ist.

Um das beurteilen zu können, hätten Inhalt und Umfang der Auskunft ermittelt werden müssen. Das ist dem Senat jedoch verwehrt gewesen, weil eine nachvollziehbare Dokumentation der Auskunft, aus der der wesentliche Inhalt und die Auskunftsperson hervorgehen, nicht vorhanden ist.

 

Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast geht das zu Lasten der Beklagten, weil sie die Nichterweislichkeit von Tatsachen zu tragen hat, die die Rücknahme der Bewilligungsbescheide rechtfertigen können.

Eine Umkehr der Beweislast könnte nur eintreten, soweit es sich um Tatsachen aus der Sphäre des Leistungsberechtigten handelte. Als eine solche Tatsache ist die Behauptung des Klägers anzusehen, bei der Beklagten um Auskunft gebeten zu haben. Die Dokumentation des der Auskunft zugrundeliegenden Gesprächs ist hingegen dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzuordnen, weil sie organisatorisch sicherzustellen hat, dass insoweit eine vollständige Dokumentation erfolgt.

Deshalb bleibt es ebenso unbewiesen, ob dem Kläger aufgrund des weiteren Bewilligungsbescheides vom 6. August 2002 ein entsprechender Schuldvorwurf zu machen ist. Es bleibt insoweit möglich, dass er aufgrund der Auskunft der Beklagten und der wiederholten Bewilligung von Alhi in erfolgter Höhe weiterhin davon ausgehen durfte, dass ihm Alhi in bewilligter Höhe zusteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem Ausgang des Rechtsstreits gemäß § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.

Gründe die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen sind nicht ersichtlich.