Grenzen der Umdeutung LSG Stuttgart 13. Senat , Urteil vom 31. August 2010 , Az: L 13 AS 5895/08

LSG Stuttgart 13. Senat , Urteil vom 31. August 2010 , Az: L 13 AS 5895/08

Leitsatz

1. Die Ablehnung eines nicht gestellten Leistungsantrags durch die Behörde kann nicht in die Aufhebung einer früheren, bereits bestandskräftigen Leistungsbewilligung umgedeutet werden, denn beide Verwaltungsakte sind nicht im Sinne des § 43 Abs. 1 SGB X auf das gleiche Ziel gerichtet.

2. Die bis zum 31.12.2007 in § 6a Abs. 2 Satz 3 BKGG enthaltene Regelung über die Höchstanspruchsdauer für den Kinderzuschlag von 36 Monaten führt nicht dazu, dass sich ein Verwaltungsakt mit dem die Behörde ohne zeitliche Befristung den Kinderzuschlag gem. § 6a BKGG gewährt hat, automatisch erledigt; der Verwaltungsakt ist nach § 48 SGB X aufzuheben.

3. Die Einstellung des Kinderzuschlags bedarf immer einer Entscheidung durch Bescheid; § 14 Abs. 2 BKGG in der bis 31.12.2006 geltenden Fassung ist auf den Kinderzuschlag nicht anwendbar.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 30. Juli 2008 abgeändert sowie der Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juni 2006 insgesamt aufgehoben.

Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Zahlung des Kinderzuschlags nach § 6a BKGG streitig, dessen Zahlung die Beklagte zuletzt noch ab Januar 2006 verweigert.

Die Klägerin (geboren 1967), schwerbehindert (GdB 100) mit Merkzeichen „G“ und „H“, hat zusammen mit ihrem Ehemann (geboren 1957) den 2004 geborenen Sohn F.. Für diesen beantragte der Betreuer des Ehemanns der Klägerin (im Folgenden: Betreuer) in deren Namen am 1. Februar 2005 die Gewährung eines Kinderzuschlags.Der Ehemann der Klägerin (im Folgenden: Ehemann) ist schwerbehindert (GdB 70) und bezieht seit 1. Mai 2004 eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ihn Höhe von 625,72 Euro (Stand 1. September 2004). Er arbeitet bei der OWB O. W. für Behinderte gem. GmbH und verdient dort (Stand 2005) ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 425,00 Euro, sowie im November eines Jahres weitere 425,00 Euro als Weihnachtsgeld. Die Belastung für die Finanzierung der gekauften Eigentumswohnung beträgt (Stand 2005) monatlich 105,00 Euro, die staatliche Eigenheimzulage in Höhe von 12.880,00 Euro wird zum Zwecke der Sondertilgung verwendet. Die Klägerin hat kein eigenes Einkommen.Nachdem die Beklagte auf den Antrag der Klägerin vom 1. Februar 2005 zunächst angenommen hatte, dass in der Bedarfsgemeinschaft kein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger vorhanden sei, lehnte diese mit Bescheid vom 15. Februar 2005 die Gewährung eines Kinderzuschlags ab. Dem hiergegen eingelegten Widerspruch half die Beklagte ab und bewilligte mit Bescheid vom 19. August 2005 Kinderzuschlag für das Kind F. ab Januar 2005. Wörtlich lautet der Verfügungssatz: „Sehr geehrte Frau K., ab Januar 2005 wird Frau K. Kinderzuschlag für das Kind F. in Höhe von 119,00 Euro monatlich bewilligt.“Mit Schreiben vom 13. Oktober 2005 teilte der Betreuer der Beklagten mit, dass seiner Kenntnis nach der Kinderzuschlag für längstens 36 Monate gewährt werde, dem Bescheid vom 19. August 2005 eine Bewilligungsdauer aber nicht zu entnehmen sei. Daher fragte er die Beklagte, zu welchem Zeitpunkt ein Antrag auf Weitergewährung des Kinderzuschlags gestellt werden müsse. Mit Schreiben vom 4. November 2005 teilte die Beklagte daraufhin mit, dass der Kinderzuschlag für längstens 36 Kalendermonate gezahlt werde, ein entsprechender Hinweis sei im Bewilligungsbescheid nicht vorgesehen und verwies auf Ziffer 5 des Merkblatts; ein Antrag auf Weitergewährung sei nicht erforderlich. Zugleich teilte die Beklagte dem Betreuer mit, dass sie die Kinderzuschlag-Zahlung vorerst eingestellt habe, weil aufgrund einer Rechtsänderung das Weihnachtsgeld künftig anteilig angerechnet werden müsse.Mit einem weiteren Schreiben vom 4. November 2005 wandte sich die Beklagte unter Hinweis auf § 60 SGB I direkt an die Klägerin und teilte mit, „um über Ihren Anspruch auf Kinderzuschlag entscheiden zu können“, benötige sie vom Ehemann Lohnabrechnungen für November 2005. Der Betreuer legte daraufhin am 16. Dezember 2005 die Lohnabrechnung des Ehemanns der Klägerin für den Monat November 2005 vor.Unter dem 21. Dezember 2005 teilte die Beklagte der Klägerin mit: „Ihrem Antrag auf Kinderzuschlag vom 16.12.2005 kann ab November 2005 nicht entsprochen werden“. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass das Einkommen und/ oder Vermögen nicht die Mindesteinkommensgrenze erreiche, weshalb ein Anspruch auf Kinderzuschlag nach § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG ausgeschlossen sei.Den Widerspruch der Klägerin vom 29. Dezember 2005 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2006 zurück; die Familienkasse habe festgestellt, dass auf den Antrag der Klägerin vom 16. Dezember 2005 kein Kinderzuschlag bewilligt werden könne, weil ihr Einkommen und/oder Vermögen die Mindesteinkommensgrenze nicht erreicht habe. Aus dem dem Bevollmächtigten vorgelegten Berechnungsbogen sei die Unterschreitung der Mindesteinkommensgrenze ersichtlich. Der Widerspruch könne daher keinen Erfolg haben.Am 28. Juli 2006 hat die Klägerin beim Sozialgericht Konstanz (SG) Klage erhoben. Die Mindesteinkommensgrenze sei überschritten. Außerdem sei zu überlegen, ob die Regelung nicht verfassungswidrig sei, denn eine Gruppe von Hilfeempfänger bleibe mangels Kinderzuschlag immer auf demselben Hilfeniveau während eine andere Gruppe an Hilfeempfängern die über Einkommen verfüge, über den Kinderzuschlag zusätzliche Leistungen bekomme.Auf die Beschwerde gegen die vom SG beschlossene Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe hat das LSG in seinem Beschluss vom 10. August 2007 (L 1 KG 1089/07 PKH-B) unter anderem ausgeführt, dass mit bestandskräftigem Bescheid vom 19. August 2005 unbefristet für die gesetzliche Bewilligungshöchstdauer von 36 Monaten (§ 6a Abs. 2 Satz 2 BKGG) Kinderzuschlag gewährt worden sei. Der von beiden Eheleuten gestellte Antrag des Betreuers vom Januar 2005 sei damit erledigt. Ein Antrag vom 16. Dezember 2005, der mit dem angefochtenen Bescheid vom 21. Dezember 2005 abgelehnt werde, habe nicht vorgelegen. Eine Änderung oder die Entziehung der mit Bescheid vom 19. August 2005 bewilligten Leistung sei demnach nur auf der Grundlage der Regelungen über die Rücknahme von begünstigenden Dauerverwaltungsakten rechtlich möglich. Die Beklagte habe keinen Verwaltungsakt zur Entziehung einer Leistung durch Rücknahme des begünstigenden Bescheids vom August 2005 erlassen, sondern eine fehlerhaft unterstellte beantragte Leistung abgelehnt. Das Vorliegen der Voraussetzung einer Umdeutung nach § 43 Abs. 1 SGB X sei zumindest fraglich.Ein auf § 48 SGB X gestützter Bescheid wegen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse hätte nur mit Wirkung für die Zukunft ergehen dürfen. Der angefochtene, im Dezember erlassene Bescheid vom 21. Dezember 2005 lehne die Gewährung von Leistungen mit Wirkung ab 1. November 2005 ab. Damit werde rückwirkend eine Leistung entzogen, sodass insoweit eine Umdeutung in einen Bescheid nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht in Betracht komme.Gegen eine Umdeutung könne auch die unterbliebene Anhörung für die beabsichtigte Entziehung der Leistungen jedenfalls ab Januar 2006 sprechen. Nach § 24 Abs. 1 SGB X sei vor Erlass eines Eingriffsverwaltungsaktes dem Betreffenden Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Ein Absehen von der Anhörung wäre nicht rechtmäßig gewesen, da hierfür die Voraussetzungen nach § 24 Abs. 2 SGB X nicht vorgelegen hätten. Eine Heilung des Verfahrensfehlers nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X sei möglicherweise nicht eingetreten. Vorliegend sei die Erstreckung der Nachholbarkeit der unterbliebenen Rechtshandlungen bis in die Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens nach § 41 Abs. 2 SGB X wohl nicht anwendbar, weil es für die Umdeutung des Verwaltungsaktes darauf ankommt, dass die formellen Voraussetzungen der mit der Anfechtungsklage angreifbaren Entziehungsentscheidung bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids als dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt vorgelegen hätten.

Mit Urteil vom 30. Juli 2008 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2005 aufgehoben, soweit damit die Bewilligung von Kinderzuschlag für die Zeit bis 31. Dezember 2005 aufgehoben worden war und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das SG hat den Beteiligten eine vom Richter unterschriebene Urteilsfassung zugestellt, die unter der Überschrift „Tatbestand“ lediglich kurze rechtliche Ausführungen enthält, aus denen folgendes zu entnehmen ist: Das Unterschreiten der Mindesteinkommensgrenze stelle eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die bei der Bewilligung des Kinderzuschlags ab Januar 2005 (Abhilfebescheid vom 19. August 2005) vorlagen. Dem habe die Beklagte nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X durch Aufhebung der Bewilligung für die Zukunft, also ab 1. Januar 2006, Rechnung zu tragen. Dass vor Erlass des Aufhebungsbescheides vom 21. Dezember 2005 die nach § 24 Abs. 1 SGB X erforderliche Anhörung der Klägerin unterblieben sei, sei unschädlich. Denn die Anhörung sei wirksam im Laufe des Vorverfahrens nachgeholt und der Verfahrensfehler somit gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt.Die Beklagte hat mit „Schreiben“ vom 6. November 2008 der Klägerin 238,00 Euro (Kinderzuschlag für November und Dezember 2005) nachgezahlt

Gegen das ihr am 28. Oktober 2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 27. November 2008 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegte Berufung der Klägerin (ursprüngliches Az.: L 1 KG 5796/08). Sie verweist darauf, dass das Urteil des SG unter Berücksichtigung des PKH-Beschlusses des LSG vom 10. August 2007 keinen Bestand haben könne. Das Urteil lasse auch nicht erkennen, wo der Tatbestand ende und die Entscheidungsgründe begännen. Im Übrigen könne der Kinderzuschlag nicht ohne schriftlichen Bescheid entzogen werden, denn in § 14 Abs. 2 BKGG sei nur vom Kindergeld, nicht vom Kinderzuschlag die Rede. Auch liege eine grundgesetzwidrige Ungleichbehandlung vor, denn es könne nicht sein, dass über den Kinderzuschlag nur Kinder begünstigt würden, deren Eltern keine Hilfeleistungen nach dem SGB II benötigten.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 30. Juli 2008 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juni 2006 insgesamt aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Das SG habe zu Recht festgestellt, dass der Ablehnungsbescheid nach § 43 Abs. 1 SGB X in einen Aufhebungsbescheid nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X umgedeutet werden könne. Ablehnungsbescheid und Aufhebungsbescheid hätten dasselbe Ziel, keine Leistungen (mehr) zu gewähren, einmal, in dem ein Antrag abgelehnt werde, zum Anderen indem eine bewilligte Leistung aufgehoben werde. Die Ablehnung der Bewilligung ab November 2005 stelle ein Mehr dar, in dem gleichzeitig die Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft und damit ab Januar 2006 enthalten sei. Zwar handele es sich bei der Aufhebung um einen Eingriffsverwaltungsakt, vor dessen Erlass der Beteiligte anzuhören sei. Die unterbliebene Anhörung sei dadurch geheilt worden, dass der Klägerin im Widerspruchsverfahren mit Schreiben vom 16. März 2006 die Tatsachen mitgeteilt worden seien, auf die es nach Meinung der Beklagten für den Verfügungssatz objektiv angekommen sei. Der Klägerin seien die entscheidungserheblichen Tatsachen in einer Weise unterbreitet worden, die sie in die Lage versetzt hätten, diese als entscheidungserheblich zu erkennen und sich sachgerecht zu äußern. Mit der unbefristeten Bewilligung des Kinderzuschlages sei der von der Klägerin gestellte Antrag auf Kinderzuschlag erledigt, ein Antrag vom 16. Dezember 2005 liege nicht vor.Das SG hat mitgeteilt, das Urteil sei von zwei Schreibkräften geschrieben worden. Die unvollständige Version I sei abgespeichert worden, die (vollständige) Version II des Urteils sei von einer Nachfolgeschreibkraft erneut abgespeichert worden, was bei der Zustellung übersehen worden sei, sodass den Beteiligten die unvollständige Version I des Urteils zugestellt worden sei.Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des LSG sowie die beigezogenen Akten des SG sowie des LSG (S 2 KG 2062/06 L 1 KG 1089/07 PKH-B; L 1 KG 5796/08) und der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin hat Erfolg.

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 SGG) und insgesamt zulässig. Sie ist begründet. Die Klägerin hat auch über den 31. Dezember 2005 hinaus Anspruch auf Zahlung des Kinderzuschlags nach § 6a BKGG auf Grundlage des bestandskräftigen Bescheids vom 19. August 2005; dieser wurde nämlich bisher nicht wirksam zurückgenommen; er hat sich auch nicht auf andere Weise erledigt.

Nachdem die Beteiligten einverstanden waren, konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).

Gegenstand des Verfahrens ist eine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, 1. Variante SGG) gegen den Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juni 2006 in der Fassung des Bescheids vom 6. November 2008 mit dem die Beklagte einen nicht existierenden Antrag vom 16. Dezember 2005 abgelehnt und Leistungen über den 31. Dezember 2005 hinaus verweigert hat. Mit dem Schreiben vom 6. November 2008 hat die Beklagte das Urteil des SG ausgeführt und der Klägerin entsprechend mitgeteilt, dass für die Monate November und Dezember 2005 Kinderzuschlag gewährt werde. Ein streitgegenständlicher Verwaltungsakt ist darin nicht zu sehen. Dem Begehren der Klägerin, Kinderzuschlag aufgrund des Bewilligungsbescheids vom 19. August 2005 über den 31. Dezember 2005 hinaus zu erhalten, wird schon durch die isolierte Anfechtungsklage in vollem Umfang entsprochen, denn mit Beseitigung des aus Sicht der Beklagten die Einstellung der Kinderzuschlagszahlungen ab Januar 2006 begründenden Verwaltungsakts ergibt sich kein Leistungshindernis mehr, das der Erfüllung der im Bescheid vom 19. August 2005 eingegangenen Verpflichtung der Beklagten und damit der Zahlung des Kinderzuschlags auf Grundlage ihres bestandskräftigen Bescheids vom 19. August 2005 entgegensteht.

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die Klägerin zwar das Klageverfahren durchführt, jedoch die Erklärungen im Verwaltungsverfahren vom Betreuer des Ehemannes stammen. Auch wenn der Widerspruch gegen den an die Klägerin gerichteten Bescheid vom 21. Dezember 2005 vom Betreuer eingelegt wurde, dessen Erklärungen dem Ehemann zuzurechnen sind, ist das Vorverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden. Dies ergibt sich schon draus, dass eine Vollmacht des Ehemannes nach § 73 Abs. 2 Satz 2 SGG in der bis 30. Juni 2008 geltenden Fassung gesetzlich unterstellt wird. Diese unterstellte Vollmacht gilt nicht nur für den Ehemann sondern auch den diesen vertretenden Betreuer. Im Übrigen steht die Antragsbefugnis nach § 9 Abs. 1 BKGG außer dem Berechtigten, hier der Klägerin, auch demjenigen zu, der ein berechtigtes Interesse an der Leistung hat, also deren Ehemann. Demzufolge darf ein Sachbescheidungsinteresse im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens auch dem Ehemann der Berechtigten zukommen, wonach er - mit Wirkung für die Klägerin - selbstständig Widerspruch einlegen kann. Die Beklagte hat dem zudem Rechnung getragen, als sie den Widerspruchsbescheid an die Klägerin adressiert hat. Zum anderen hat die Klägerin durch ihren ordnungsgemäß bevollmächtigten Rechtsanwalt Klage erhoben, ohne insoweit ein mangelhaftes Widerspruchsverfahren zu rügen, sodass die Widerspruchseinlegung nachträglich als genehmigt anzusehen ist.

Der angegriffene Bescheid vom 21. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juni 2006 enthält keine Regelung im Sinne des § 31 SGB I in Verbindung mit § 31 SGB X. Regelung als Merkmal des Verwaltungsaktes im Sinne des § 31 SGB X ist die Setzung von Rechtsfolgen im Sinne der Begründung, Feststellung, Änderung oder Aufhebung von Rechten und Pflichten (§ 31 SGB I). Denn mangels Antrag fehlt dem genannten Bescheid ein Regelungsgegenstand. Ein Antrag vom 16. Dezember 2005 liegt nicht vor; die Vorlage der von der Beklagten eingeforderten Lohnunterlagen für November 2005 stellt keinen Antrag dar. Auch liegt sonst kein Verhalten der Klägerin, deren Ehemann oder des Betreuers vor, das als „Antrag“ vom 16. Dezember 2005 verstanden oder zeitlich bzw. inhaltlich einem solchen zugeordnet werden könnte. Die Ablehnung eines nicht existierenden Antrags enthält inhaltlich keine Begründung, Feststellung, Änderung oder Aufhebung von Rechten und Pflichten. Damit handelt es sich bei dem genannten Bescheid lediglich um einen Formalverwaltungsakt, da dieser in Form eines Verwaltungsaktes erging. Eine entsprechende Regelung eines tatsächlich vorhandenen Lebenssachverhalts erhielt der Bescheid vom 21. Dezember 2005 auch nicht durch den Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2006, denn auch hierin hat die Beklagte lediglich über einen nicht vorhandenen Lebenssachverhalt entschieden.

Dieser lediglich formelle Verwaltungsakt ist rechtswidrig, denn für seinen Erlass stand der Beklagten keine Rechtsgrundlage zur Verfügung (§ 31 SGB I). Er kann auch nicht nach § 43 SGB X in die Aufhebung der unbefristeten Bewilligung eines Kinderzuschlages nach § 6a BKGG nach § 48 SGB X umgedeutet werden. Dabei kann offen bleiben, ob eine dem Urteil des BSG vom 28. Oktober 2008 (B 8 SO 33/07 R - SozR 4-1500 § 77 Nr. 1 = juris) entsprechende Konstellation gegeben ist. Jedenfalls steht § 43 Abs. 1 SGB X der Umdeutung entgegen. Denn die Ablehnung eines Antrags und die Aufhebung von bisher bereits erbrachten Leistungen verfolgen nicht im Sinne eines gemeinsamen Regelungsinteresses dasselbe Ziel. Dies ist aber gerade Voraussetzung einer Umdeutung nach § 43 Abs. 1 SGB X. Dabei wird keine inhaltliche Identität vorausgesetzt, es genügt vielmehr, dass die Regelungen im Hinblick auf deren Auswirkungen und Tragweite für den Betroffenen übereinstimmen (Schwarz in Fehling/ Kastner/ Wahrendorf, HK-VerwR/VwVfG, § 47 VwVfG Rn. 13). Gemeinsames Ziel einer Leistungsablehnung und der Aufhebung bereits bestandskräftig zuerkannter Rechtsansprüche ist nicht der Wille der Behörde, keine Leistung mehr erbringen zu wollen. Denn Ziel der Ablehnung eines Leistungsantrages ist lediglich die im Sinne des § 31 SGB I gesetzmäßige Verweigerung von Sozialleistungen, die die Behörde dem Betroffenen noch nicht zuerkannt hat. Dagegen zielt die Aufhebung eines Verwaltungsaktes nach § 48 SGB X darauf, bereits von der Behörde bestandskräftig festgestellte Leistungsansprüche des Betroffenen – die regelmäßig durch eine Leistungserbringung seitens der Behörde bereits erfüllt sind - mit Wirkung für die Vergangenheit oder die Zukunft zu entziehen. Insoweit unterscheiden sich auch Leistungsablehnung und Leistungsaufhebung in ihren Auswirkungen auf den Betroffenen. Damit verfolgen Ablehnung und Aufhebung im Hinblick auf das Regelungsinteresse nicht dasselbe Ziel. Ein gemeinsames Ziel liegt nämlich auch dann nicht vor, wenn die den Entscheidungen zugrundeliegende Lebenssachverhalte nicht identisch sind (Schwarz a.a.O. Rn. 14). Vorliegend wäre der einer Leistungsablehnung zugrunde liegende Lebenssachverhalt derjenige eines aufgrund des „Antrages“ vom 16. Dezember 2005 bisher noch nicht zuerkannten Leistungsanspruchs, derjenige einer Aufhebung nach § 48 SGB X jedoch der einer bereits seit dem 1. Januar 2005 bestandskräftig zuerkannten Leistung gewesen. Insoweit handelt es sich nicht um identische Lebenssachverhalte.

Die Ungleichheit der Zielrichtungen wird auch dadurch bestätigt, dass die Behörde zum Zeitpunkt des Erlasses des lediglich formellen Verwaltungsakts vom 21. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juni 2006 einen Antrag ablehnen wollte. Den Willen zur Entziehung bereits bestandskräftig festgestellter Leistungsansprüche hat sie weder im Bescheid noch im Widerspruchsbescheid geäußert. Dabei ist auf den Willen der Behörde im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids abzustellen, nicht auf spätere Willensbildungen (so zu § 43 Abs. 2 SGB X: Waschull in LPK-SGB X 2. Aufl. § 43 Rn. 12). Ebenso sind der innere Wille oder subjektive Erwartungen und Vorstellungen der Behörde unbedeutend, maßgebend ist lediglich, was bei objektiver Betrachtungsweise nach Treu und Glauben festgestellt werden kann (Waschull a.a.O.). Zum Zeitpunkt des Erlasses des lediglich formellen Verwaltungsaktes vom 21. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juni 2006 hatte die Beklagte nach Überzeugung des Senats nicht den Willen, bereits bestandskräftige Leistungsansprüche zu beenden; jedenfalls lässt sich dies bei neutraler und objektiver Betrachtung auch nicht nach Treu und Glauben aus den genannten Bescheiden ableiten. Auch aus dem Hinweis im Schreiben vom 4. November 2005, die Leistung vorerst ab November 2005 einzustellen, lässt keinen anderen Schluss zu.

Im Übrigen scheitert eine Umdeutung auch daran, dass eine ordnungsgemäße Anhörung (§ 43 Abs. 4 SGB X) im Sinne des § 24 Abs. 1 SGB X der Klägerin nicht erfolgt war und auch nicht nach § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X wirksam nachgeholt worden war. Die Beklagte hat vor Ablehnung des vermeintlichen Antrages die Klägerin nicht nach § 24 Abs. 1 SGB X angehört. Eine Anhörung war – vorausgesetzt es wäre tatsächlich um die Ablehnung eines Leistungsantrags gegangen – insoweit auch nicht erforderlich. Vor einer Aufhebung der mit Bescheid vom 19. August 2009 bestandskräftig zuerkannten Leistungsansprüche nach § 48 SGB X wäre aber eine Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X auch dann erforderlich gewesen, wenn lediglich eine Aufhebung ab Januar 2006 in Betracht gekommen wäre; die Anhörung wäre nicht nach § 24 Abs. 2 SGB X entbehrlich gewesen. Zwar hat die Beklagte der Klägerin im Widerspruchsverfahren mit Schreiben vom 16. März 2006 die Grundlagen ihrer Leistungsablehnung, nicht jedoch die einer Aufhebung der bereits zuerkannten Leistungsansprüche mitgeteilt. Die nach § 43 Abs. 4 SGB X in Verbindung mit § 24 Abs. 1 SGB X erforderliche Anhörung ist damit nicht bis zum Abschluss des Vorverfahrens erfolgt (§ 41 Abs. 2 SGB X). Denn der Bescheid vom 21. Dezember 2005 gegen den sich die Klägerin mit ihrem Widerspruch gewandt hat, und auch das Schreiben der Beklagten vom 16. März 2006, enthalten keinen Hinweis auf die Voraussetzungen einer Aufhebung der Bewilligung unter Berücksichtigung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X (dies wird von BSG, Urteil vom 15. Juni 2000 - B 7 AL 86/99 R - SozR 3-1300 § 24 Nr. 16 = juris Rn. 15 gefordert). Auch im Gerichtsverfahren – weder vor dem SG noch dem LSG – hat die Beklagte die Klägerin entsprechend angehört; eine Heilung des formellen Fehlers durch eine wirksame Nachholung im Sinne des § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X ist damit nicht eingetreten. Schon deswegen (§ 42 Satz 2 SGB X) war der Bescheid vom 21. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids 27. Juni 2006 aufzuheben.

Die Einstellung des Kinderzuschlags bedarf auch immer einer Entscheidung durch Bescheid der Beklagten (§ 14 Satz 2 BKGG in der seit 1. Januar 2007 geltenden Fassung). Auch § 14 Abs. 2 BKGG in der bis 31. Dezember 2006 geltenden Fassung (a.F.), der in Nr. 1 vorsah, dass von der Erteilung eines Bescheides über die Entziehung des Kindergeldes abgesehen werden könne, wenn der Berechtigte anzeigt, dass die Voraussetzungen für die Berücksichtigung eines Kindes nicht mehr erfüllt sind, rechtfertigt keine bescheidlose Einstellung der Kinderzuschlagszahlungen zum 31. Dezember 2005. Denn diese Vorschrift galt – anders als § 14 Abs. 1 BKGG - ausweislich ihres Wortlauts lediglich für die Entziehung des Kindergeldes, nicht jedoch für die Entziehung des Kinderzuschlags nach § 6a BKGG.

Auch lag in dem Schreiben der Beklagten vom 4. November 2005, in dem diese mitteilte, die Leistung vorerst eingestellt zu haben, keine Aufhebung der Leistungsbewilligung aus dem Bescheid vom 19. August 2005. Eine bescheidlose Einstellung kommt mangels Anwendbarkeit des § 14 Abs. 2 BKGG a.F. nicht in Betracht; eine Aufhebung des Bewilligungsbescheids ist darüber hinaus auch der Mitteilung, dass Leistungen ‚bloß‘ vorerst eingestellt werden, nicht zu entnehmen. Da die Beklagte hier schon gar keinen Verwaltungsakt erlassen wollte, kommt eine Umdeutung nach § 43 SGB X nicht in Betracht. Denn hiernach können lediglich Verwaltungsakte, nicht sonstige Erklärungen von Behörden, umgedeutet werden.

Damit ist der Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juni 2006 in der Fassung des Bescheids vom 6. November 2008 rechtswidrig, die Klägerin wird in ihren Rechten verletzt. Nachdem der Bescheid vom 19. August 2005, mit dem die Beklagte der Klägerin einen Kinderzuschlag nach § 6a BKGG unbefristet bewilligt hat, noch nicht aufgehoben, zurückgenommen oder sich auf andere Weise erledigt hat (§ 39 As. 2 SGB X), hat die Beklagte der Klägerin auch über den 31. Dezember 2005 hinaus den Kinderzuschlag auf Grundlage der Bewilligungsentscheidung vom 19. August 2005 zu zahlen. Insoweit weist der Senat darauf hin, dass die gesetzliche Befristung des Kinderzuschlags auf 36 Monate nach § 6a Abs. 2 Satz 3 BKGG in der bis 31. Dezember 2007 geltenden Fassung von der Beklagten in ihrem Bewilligungsbescheid vom 19. August 2005 nicht umgesetzt wurde; der bloße Hinweis auf das Merkblatt im Antragsformular wie auch im Schreiben der Beklagten vom 4. November 2005 genügen nicht. Auch führt die gesetzliche Regelung nicht dazu, dass sich der Bescheid vom 19. August 2005, mit dem die Beklagte ohne zeitliche Befristung den Kinderzuschlag gem. § 6a BKGG gewährt hat, mit Ablauf von 36 Monaten automatisch erledigt; diese gesetzliche Leistungsbefristung hätte die Beklagte durch eine Befristung nach § 32 Abs. 1, Abs. 1 Nr. 1 SGB X oder eine aufhebende Entscheidung nach § 48 SGB X umsetzen müssen.

Der Senat sieht auch trotz des nur unvollständig zugestellten Urteils im Interesse der Beteiligten und angesichts der Dauer des Verfahrens von einer Zurückverweisung des Rechtsstreits nach § 159 SGG an das SG ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; dabei wurde das Obsiegen der Klägerin als Wesentlich angesehen.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr. 1 und 2 SGG).